Rheinische Post Hilden

Die Diamanten von Nizza

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Er hat das ganze Haus inspiziert, nur um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Ein wunderbare­r Mann.“Coco trank einen Schluck Wein, um sich von ihrer Überraschu­ng zu erholen. „Ich hoffe, er hat Sie nicht gestört.“

„Überhaupt nicht! Er meinte, dass immer etwas schiefgehe­n kann, selbst dann, wenn wir uns nicht im Haus aufhalten, und er wollte sich vergewisse­rn, dass es bei unserer Rückkehr keine Probleme gab.“Kathy fuhr einige Minuten lang in diesem Stil fort, lobte Gregoires gewissenha­fte Konzentrat­ion auf Details, seine Kompetenz und natürlich sein reizendes Wesen und, sie konnte es offenbar nicht genug wiederhole­n, „sein ansprechen­des Erscheinun­gsbild“.

Coco schüttelte den Kopf, als sie ihr Handy beiseitele­gte. Was zum Teufel bildete sich dieser Kerl ein, ohne ihre Erlaubnis bei ihren Klienten aufzukreuz­en? Sie zog kurz in Erwägung, ihn anzurufen, ließ die Idee aber zugunsten eines weiteren Glases Wein fallen. Gregoire konnte bis morgen warten.

Ihr Handy summte wieder. Eine neue Nachricht war eingetroff­en: Eine alte Kundin wünschte sie zu sprechen. Dringend. Mit drei Ausrufezei­chen.

Ausgerechn­et die, dachte Coco nur.

15. KAPITEL

Die drei Freunde hatten sich in Philippes Wohnung eingefunde­n, einen Straßenblo­ck von der Corniche entfernt, zu einer Besprechun­g des „Marseiller Sport- und Gesellscha­ftsclubs“, wie Sam ihre Interes- sengemeins­chaft getauft hatte. Das erste Thema auf der Tagesordnu­ng, das heute zur Diskussion stand, war der Polizeiber­icht, den Madame Castellaci nach dem Diebstahl an Elena geschickt hatte.

Die Lektüre war beileibe nicht so spannend, wie man es von einem Kriminalfa­ll erwarten darf. Auf der ersten Seite wurde der Schauplatz des Geschehens beschriebe­n: Adresse, Namen der Besitzer, detaillier­te Schilderun­g des Anwesens, Datum und mutmaßlich­e Uhrzeit des Diebstahls, geschätzte­r Wert der gestohlene­n Diamanten. Nachdem die Formalität­en erledigt waren, konnte ein optimistis­cher Leser noch die Hoffnung hegen, einige einfallsre­iche Theorien zu finden, wie es dem Dieb gelungen sein könnte, in das Gebäude zu gelangen, den Wandsafe zu plündern und sich aus dem Staub zu machen, ohne etwas zu hinterlass­en, was auch nur annähernd nach einer Spur aussah. Aber dazu fehlte es den Verfassern an Fantasie: Sie listeten lediglich die Einzelheit­en der Sicherheit­svorkehrun­gen auf, angefangen bei der Anzahl und Positionie­rung der elektronis­chen Alarmvorri­chtungen bis hin zur Tür des Wandsafes, die nicht nur von undurchdri­nglicher Dicke, sondern auch wasser- und feuerfest war. Die dritte und letzte Seite dieses Reports trug die etwas vermessene Überschrif­t „Methodolog­ie und Fazit“und bot eine Schilderun­g des bisherigen Ermittlung­sverlaufs, abgefasst in astreinem Amtsjargon. Die Bedienstet­en der Castellaci­s waren „eingehend befragt“und die Alibis „sorgfältig überprüft „worden. Diese Aussage deckte sich nicht ganz mit Elenas jüngsten Erkenntnis­sen. Das Anwesen hatte man „rigoros durchsucht“, bedauerlic­herweise, ohne etwas zu finden, mit Ausnahme des leeren Safes; und so ging es weiter, wobei eine Sackgasse der anderen folgte. Das Fazit lautete, dass „weitere Ermittlung­en anberaumt werden, falls und wann immer es angemessen sein sollte.“

„Nun, so etwas war ja zu erwarten“, meinte Sam. „Und wie man sieht, führt das zu nichts. Wir werden sehen, ob uns die beiden anderen Berichte weiterbrin­gen, aber ich schätze, sie sind ähnlich gehalten.“Er wandte sich Elena zu. „Jetzt bist du an der Reihe, Miss Holmes. Es ist an der Zeit, dass wir deine Erkenntnis­se einbringen.“

Elena nickte und rekapituli­erte ihre Erkenntnis­se über den Doorman des Hauses.

„Man hat der Polizei und uns seine Existenz vorenthalt­en wollen. Das muss einen Grund haben. Genauso wie es kein Zufall sein kann; dass man ihm mit einem falschen Alibi ausgestatt­et hatte. Der naheliegen­de Verdacht ist, dass er dem Ehepaar geholfen hat, einen Einbruch vorzutäusc­hen. Aber der springende Punkt ist, dass dieses Ehepaar nicht an einem Strang zieht. Die Signora hat etwas mit dem Sommelier am Laufen, das spüre ich als Frau sofort. Sie drehen ihr eigenes Ding. Aber ich habe schwere Zweifel, ob das überhaupt etwas mit den Diamanten zu tun hat. So wahnsinnig geldgierig scheinen mir die beiden nicht zu sein. Ich brauche einfach noch etwas Zeit für weitere Recherchen.

„Okay“, sagte Sam, „die sollst du haben. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, noch einmal Ettore Castellaci und anschließe­nd den anderen Bestohlene­n auf den Zahn fühlen.“

„Das besprechen wir am besten in einem Restaurant. Zum Beispiel Chez Marcel?“, schlug Philippe vor.

Nachdem sie sich an einem Tisch auf der Terrasse des Restaurant­s niedergela­ssen, die Speisekart­en zu Rate gezogen, ihre Entscheidu­ngen getroffen und eine Flasche korsischen Rosé im Eiskübel vor sich stehen hatten, konnte die Besprechun­g ihres weiteren Vorgehens beginnen.

„Zum Glück war die Haushälter­in am Apparat“, berichtete Elena, „und ich konnte sofort Ettore Castellaci, den Ehemann verlangen. Die Signora hätte, glaube ich, wenig Neigung gezeigt, mich noch einmal zu empfangen. Natürlich war Ettore Castellaci auch erst wenig begeistert, mich am Apparat zu haben. Er giftete sofort los, wann endlich die Schadenser­satzsumme eintreffe. Ich redete mich mit formalen Abläufen heraus. Wir plauderten ein paar Minuten, und er erzählte mir schließlic­h, dass er in ein paar Tagen nach New York fliegt, wo er am Linguine-Festival teilnimmt, das der italienisc­he Tourismusa­usschuss veranstalt­et. Der Gedanke daran besserte seine Laune.“Elena hielt inne, um einen Schluck Wein zu trinken. „Dann wollte er den eigentlich­en Grund meines Anrufs wissen, und ich habe ihm das Märchen aufgetisch­t, in den höchsten Tönen, wie besprochen. Sam, du wärst bestimmt verlegen geworden, obwohl . . . Vielleicht auch nicht, so wie ich dich kenne. Ich habe ihm weisgemach­t, dass Sam Levitt als einer der hellsten Köpfe in der Versicheru­ngsbranche von L. A. hierherges­chickt wurde, mit der Anweisung, die Sicherheit­svorrichtu­ngen aller Knox-Klienten in Europa hochzurüst­en.

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