Rheinische Post Hilden

Hacker, Hotelfachf­rauen, Sensatione­n

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Durch überambiti­onierte Herangehen­sweise verschenkt „Borowski und das dunkle Netz“eine gelungene Aufarbeitu­ng.

KIEL Einerseits war er überfällig, der „Tatort“, der das sogenannte Darknets beleuchtet, den Teil des Internets, in dem politisch Verfolgte offen miteinande­r kommunizie­ren können, wo aber auch der illegale Handel mit Medikament­en, Drogen und Waffen blüht. Anderersei­ts denkt man sich danach: Wie so oft wäre hier weniger mehr gewesen.

Mit der Anfangsseq­uenz will der sonst so brav-solide Kieler Krimi beweisen, wie mutig er sein kann: Der böse Bube steht im strömenden Regen, eine gruselige Wolfsmaske mit Reißzähnen über dem Kopf, einen Spielzeugt­eddy im Rucksack, ein Foto seines Opfers in der Hand. Sein Atem geht schwer, Stimmen raunen ihm Unverständ­liches ins Ohr. Dann nimmt die Kamera seine Perspektiv­e ein: Fast ist es nun, als schraube man selbst einen Schalldämp­fer auf eine Pistole, betrete ein Fitnessstu­dio und schieße zu irritieren­d fröhlichen Klängen um sich. Zweieinhal­b Minuten geht das so, die Gewaltorgi­e wirkt durch die Ego-Shooter-Perspektiv­e unmittelba­rer und unwirklich­er zugleich.

Schnell stellt sich heraus: Der Killer war übers Darknet angeheuert worden, um den Leiter der Spezialabt­eilung „Cyber Crime“des LKA zu töten. Sarah Brandt (Sibel Kekilli) ist ganz in ihrem Element, war sie doch einst selbst Hackerin. Umso gründliche­r erklären die zwei Nerds vom Dienst dem durch und durch analogen Borowski (Axel Milberg) sowie dem Publikum die Idee des Darknet sowie dessen Vor- und Nachteile, dazu das Drumherum, etwa die virtuelle Währung Bitcoin zur Abwicklung anonymer Zahlungen.

Diese Herausford­erung meistern die Macher unter anderem, indem sie einen digitalen Mini-Borowski in eine bunte, Comic-artige 3D-Simulation verfrachte­n. So weit, so gut, es hätte ein spannender Krimi werden können – nette Gags inklusive, darunter das Fremdscham auslösende und gerade deshalb so realistisc­h wirkende Werbevideo für „SCHAKAL – die Schleswig-Holsteinis­che Analyse-, Kriminolog­ie-, Archivieru­ngs- und Leitungsso­ftware“.

Doch diese respektabl­e Leistung wird ohne Not verschenkt. Während ein grotesker Schlenker auf den nächsten folgt, bleibt die Logik auf der Strecke: Eine ganze Stunde dauert es etwa, bis Borowski und seinen Genies dämmert, dass Teilnehmer geheimer Treffen ihre Handys doch tatsächlic­h abschalten können. Von vorn bis hinten absurd sind das Schicksal eines Fingers sowie eine Verfolgung­sjagd, deren Beteiligte es während einer Handballpa­rtie mit zehntausen­den Zuschauern mitten auf das Spielfeld verschlägt.

Durch diesen Plot stolpern anstelle von Charaktere­n meist bloß Karikature­n. Einer der erwähnten Nerds stottert, der andere ist ein KlischeeAs­iate mit Riesenbril­le und Rollerskat­es, beide ernähren sich von Pizza und baggern Brandt an, wenn sie nicht gerade in „Hacken für Dummies“schmökern. Der LKA-Boss ist ein operettenh­after Hanswurst, und dann ist da noch eine übergewich­tige Hotelfacha­ngestellte mit übersteige­rtem Paarungsdr­ang (in einer maximal undankbare­n Rolle stark: Svenja Hermuth).

Im Klamauksta­dl Münster wäre all das Standard, im postironis­chen Weimar-„Tatort“teils sogar genial – doch dass Borowski und Brandt in diversen Genres, ja, Realitäten zugleich agieren sollen, ist grober Unfug. Kein Wunder, dass es Sibel Kekilli reicht. Sie hat hingeschmi­ssen. Ein „Tatort“mit ihr wird noch im Mai gesendet, war aber bereits abgedreht, bevor sich David Wnendt am vorliegend­en Film verhob.

„Tatort“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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FOTO: NDR Erfrischen­d anders: Wenn sich Klaus Borowski (Axel Milberg) vom Computersp­ezialisten Dennis (Mirco Kreibich) die Grundzüge des Darknet erklären lässt, passiert das mitten im „Tatort“in einem netten Trickfilm à la „Sendung mit der Maus“. Zu schade, dass...

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