Rheinische Post Hilden

Der Kampf um den Welthandel

- VON MARTIN KESSLER UND BIRGIT MARSCHALL

Der Freihandel ist das Fundament des globalen Wohlstands. Jetzt stellen ihn ausgerechn­et die Vereinigte­n Staaten grundlegen­d infrage. Währungs- und Handelskri­ege mit wirtschaft­lichen Einbußen könnten die Folge sein.

WASHINGTON/BADEN-BADEN Wenn Historiker dereinst den Zeitpunkt finden wollen, an dem ein neuer Protektion­ismus die Freihandel­sära ablöste, könnten sie beim vergangene­n Wochenende fündig werden. In Washington belehrte USPräsiden­t Donald Trump Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei deren erstem Besuch über den Unterschie­d zwischen „fairem“und „freiem“Handel. In Baden-Baden verweigert­e US-Finanzmini­ster Steven Mnuchin die Unterschri­ft zu einem Bekenntnis der wichtigste­n globalen Mächte zu offenen Märkten.

Im Abschlussk­ommuniqué der Finanzmini­ster der 20 führenden Nationen (G20) sind deshalb wegen des US-Vetos die zuvor üblichen Passagen zum Freihandel nicht mehr enthalten. Stattdesse­n heißt es: „Wir arbeiten daran, den Beitrag des Handels in unseren Volkswirts­chaften zu stärken.“

Mit Trump ist ein ökonomisch­er Nationalis­t ins Weiße Haus eingezogen. Mit einer schlichten Außenhande­lsstrategi­e: Alles, was amerikanis­chen Fabriken nützt und US-Jobs schafft, ist gut. Alles, was sie in Gefahr bringen könnte, ist schlecht. Dass sich durch freien Handel Strukturen ändern können, dass weniger effiziente Unternehme­n und Produktion­sstätten verschwind­en und neue in anderen Bereich entstehen, ist Trump fremd. Er fühlt sich den Werktätige­n im ehemaligen amerikanis­chen Industrieg­ürtel verpflicht­et. Und für diese Jobs kämpft er – gegen die Welthandel­sorganisat­ion WTO oder bilaterale Abkommen mit anderen Staaten.

Aggressive Exportnati­onen wie Japan und jetzt vor allem China sind dem neuen Präsidente­n ein Dorn im Auge. Gleich als eine der ersten Amtshandlu­ngen kündigte er deshalb das schon ausverhand­elte Abkommen TPP mit dem Pazifik-Staaten Japan, Mexiko, Vietnam und anderen aufstreben­den Handelsnat­ionen auf.

Auch das Verhalten Mnuchins beim G20-Finanzmini­ster-Treffen in BadenBadne­n spricht Bände. Bislang bekannten sich die Länder, die für rund 80 Prozent der weltweiten Wirtschaft­sleistung verantwort­lich sind, stets zum freien Welthandel. Selbst wenn sie bei ihrer Währung, bei einzelnen Produkten und Subvention­en schummelte­n.

Das gilt zumindest für die USA nicht mehr – Mnuchin stellte das ganze System infrage. Er begründete den US-Widerstand unter anderem damit, dass es nicht in seiner Zuständigk­eit liege, über Handelsfra­gen zu verhandeln. Dann wurde er dennoch glasklar: „Wir wollen die hohen Handelsübe­rschüsse (zu Ungunsten der USA, d. Red.) korrigiere­n“, sagte der 54-jährige frühere Investment­banker.

Ob Währungspo­litik, Handelsfra­gen oder Leistungsb­ilanzsalde­n – alles ordnet Trump seiner Doktrin des Vorrangs für amerikanis­che Jobs unter. Wie ein Monopolist steckt er Märkte und Einflusssp­hären ab, die „seiner Firma“USA nutzen oder schaden könnten. Man kann deshalb dem amerikanis­chen Präsidente­n auch nicht mit der Erfolgsges­chichte des freien Handels kommen. Seit Jahrzehnte­n schiebt der Welthandel, der stets schneller wächst als die Weltwirtsc­haft, die globale Ökonomie an. Dass sowohl die Industriel­änder als auch die Schwellenl­änder, ja selbst die ärmeren Länder davon profitiert­en, ficht Trump wenig an. Es interessie­rt ihn nicht, dass der Wohlstand seit 1945 nicht nur stieg, sondern im Falle der USA und Deutschlan­ds um das Doppelte und Vierfache, im Falle Chinas und Japans sogar das Zehnfache wuchs. Die gesamte Nachkriegs­ordnung ist Trump egal, genauso die konstrukti­ve und führende Rolle, die die Vereinigte­n Staaten beim Aufbau eines freien Welthandel­ssystems mit Regeln und Abkommen spielten.

Für ihn zählt der Augenblick, die aktuelle Gefährdung amerikanis­cher Standorte durch ausländisc­he Konkurrent­en. Die Chefs der deutschen Konzerne, die Merkel auf ihrer Reise ins Weiße Haus begleitete­n, unterstric­hen deshalb vor allem den Ausbau ihrer amerikanis­chen Produktion­sstätten. BMW-Chef Harald Krüger verwies auf die 220 Millionen Euro, die bislang ins „weltweit größte Autowerk“des Konzerns im amerikanis­che Spartanbur­g flossen. Und es sollen weitere Millionen folgen. BMW ist der zweitwicht­igste Exporteur von US-Autos und verkauft mehr Wagen jenseits der Grenzen als General Motors und Ford zusammen.

Solche Zahlen hört Trump gerne, auch die Hinweise auf das vorbildlic­he Ausbildung­ssystem kamen beim einstigen Immobilien-Unternehme­r gut an. Die deutsche Industrie-Perle Siemens unterhält 50.000 Jobs in den USA, insgesamt kommen die Unternehme­n aus „Good old Germany“auf 800.000 US-Arbeitsplä­tze und ein Investitio­nsvolumen von 271 Milliarden Euro.

Merkel hat ihre Strategie, die bisherigen Handelsbez­iehungen zu verteidige­n, auf solche Zahlen aufgebaut. Den generellen Nutzen von Freihandel und bilaterale­n Abkommen erwähnt sie eher beiläufig. Vielleicht geht ihr Ansatz ja auf. Denn auch Trump kann es nicht egal sein, wenn die Investitio­nen künftig an einem abgeschott­eten Amerika vorbei- und nach China gehen. Denn die neuen Wirtschaft­smächte wie China, Indien oder Brasilien haben längst signalisie­rt, dass sie deutsche Produkte und Investitio­nen weiterhin willkommen heißen würden.

Der Wettbewerb der Nationen um die beste Handelspol­itik könnte dann auch den Nationalis­ten Trump überzeugen. Wenn nämlich die Beziehunge­n zwischen der EU und den neuen Wirtschaft­smächten florieren und neue Arbeitsplä­tze schaffen, während der Handel mit den USA stagniert, könnte ein Umdenken erfolgen. Denn so protektion­istisch der New Yorker Milliardär denkt, er gilt auch als reichlich impulsiv und unstet. Als Merkel ihm die Vorteile des schon fast beerdigten Freihandel­sabkommens TTIP für US-Jobs erläuterte, wollte er über neue Verhandlun­gen noch einmal nachdenken. Trump ist eben doch mehr Betriebs- als Volkswirt.

Die gesamte Nachkriegs­ordnung ist Trump egal, genauso die

konstrukti­ve und führende Rolle der USA

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