Die große Wohlfühlrede
Die Krönungsmesse für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist gelungen. Neue Inhalte lieferte er aber kaum.
BERLIN Mit einem solchen Ergebnis hat selbst SPD-Generalsekretärin Katarina Barley nicht gerechnet. Keine Gegenstimmen für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz? Unglaublich, sagt sie, als in der Arena in Berlin-Treptow bereits die Stuhlreihen der Krönungsmesse abgebaut werden und alle Delegierten auf dem Heimweg sind. Der „Schulz-Zug“rollt. Aber mit so brachialer Kraft? Wer die Inhalte der Rede betrachtet, hätte auf ein ähnliches Ergebnis wetten können. Zwar war sie an einigen Stellen zu lang, aber es war für alles etwas dabei. Neuigkeiten und Überraschungen gab es kaum. Genau das ist gewünscht. Mächtige Wahlkämpfer wie NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verbitten sich unbequeme Positionen, die Debatten in der diskussionsfreudigen SPD auslösen könnten. Ein Überblick seiner wichtigsten Botschaften: doch auf die Pläne zum Umbau der Bundesagentur für Arbeit hin zu mehr Weiterbildung ein. Indem er die Kritik daran, es handele sich um ein Frühverrentungsprogramm, lediglich als „absurd“abtat, sprang er jedoch zu kurz. Auch ging er kaum auf Wirtschaftspolitik ein. Wie will die SPD Wachstum ankurbeln? Dazu sagte Schulz viel zu wenig. Einzig: Der Staat müsse die Rahmenbedingungen für Wachstum schaffen und mittelständischen Unternehmen etwa durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur oder einen „Rechtsrahmen“für künftige Geschäftsmodelle helfen. Da blieb er viel zu vage, zu oberflächlich. „Bildung soll gebührenfrei werden, von der Kita bis zum Studium“Bei der Bildungs- und Familienpolitik lieferte Schulz die einzig wesentlichen Neuigkeiten. So sollen nicht nur Kita, Schule und Studium kostenfrei sein, Schulz plädierte auch für eine Abschaffung der Gebühren in der Berufs- und Meisterausbildung. Immer wieder hatte auch Gabriel kritisiert, dass Erzieher für ihre Ausbildung draufzahlten, während angehende Juristen keine Gebühren für ihr Studium zahlen müssten. Dass die SPD aber in fast allen Ländern für die Bildungspolitik zuständig ist und eine solche Initiative bislang fehlte, muss den Sozialdemokraten angelastet werden. Schulz kündigte zudem an, dass es künftig einen Rechtsanspruch auf einen Platz an einer Ganztagsschule geben solle. Zeit sei in Familien Mangelware. Deswegen habe er mit Familienministerin Manuela Schwesig ein Konzept für die Familienarbeitszeit diskutiert, das in den kommenden Wochen vorgestellt werde. Allerdings ist das längst Programm der Ministerin, sie scheiterte damit jedoch in der großen Koalition. Dass die SPD das nun noch einmal in den Wahlkampf trägt, ist nicht neu und bleibt umstritten. Die Analyse jedoch ist richtig: Mit dem Thema Zeit in den Familien treffen die Genossen einen Nerv. „Die Pläne der Union für Steuersenkungen sind ungerecht“Schulz machte deutlich, dass Steuersenkungen mit ihm nicht zu machen sind. Er prangerte Pläne der Union an, Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro zu planen und die Ausgaben für Rüstung zulasten der Sozialsysteme zu erhöhen. Das Konzept der SPD: Investieren, investieren, investieren. In Bildung, Infrastruktur, Kultur. Derzeit streiten die Genossen hinter verschlossenen Türen jedoch noch über die Details ihres Steuermodells: Sollen die Entlastungen der niedrigen und mittleren Einkommen über die Steuern laufen (NRWFinanzminister Norbert Walter-Borjans beispielsweise ist dafür) oder sollen Freibeträge bei den Sozialabgaben für mehr Spielraum bei Geringverdienern sorgen (so steht es etwa in einem Positionspapier des konservativen Seeheimer Kreises)? Das Steuerkonzept ist für die SPD im Wahlkampf zentral, es birgt aber auch den meisten Sprengstoff zwischen den Lagern der Partei. Geschickt: Schulz machte bereits deutlich, dass es erst nach der NRWWahl kommen werde. „Feinde der Demokratie haben in uns den entschiedensten Gegner“An wenigen anderen Punkten in der Rede wurde Schulz so emotional wie bei den Angriffen gegen Rechtspopulisten. Die AfD bezeichnete er noch einmal als „Schande für die Bundesrepublik“. Er weiß genau, dass er auch wegen seiner Haltung als früherer Europaparlamentschef dabei wesentlich glaubwürdiger ist, als etwa in den Zahlendetails der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Schulz lief zu Hochformen auf, bediente auch historische Vergleiche, wie die SPD sich etwa gegen die Nationalsozialisten stellte. Die Parteitagsgäste zollten ihm dafür den längsten Zwischenapplaus. Schulz wird dieses Thema im Wahlkampf stark spielen, so viel ist sicher. „Wer die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Frage stellt, hat keinen Platz in diesem Land“Schulz sprach das Thema kultureller Probleme im Zuge der Massenmigration mit einem Verweis auf die Verfassung an. Wer wie Islamisten den Grundsatz der Gleichberechtigung nicht anerkenne, gehöre hier nicht her, passe hier nicht rein. Ansonsten hielt er sich in dem Punkt zurück, auch zur inneren Sicherheit. Es ist kein Thema, mit dem die SPD viel gewinnen kann. „Erdogans Strategie wird früher oder später scheitern“Ganz anders beim Thema Europapolitik: Dort ist Schulz zu Hause, das ist sein Antrieb. In einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr europäischen Zusammenhalt und gegen autokratische Tendenzen wie in der Türkei zog er auch nach einer Stunde Redezeit die Aufmerksamkeit des Parteitags noch einmal auf sich. Dabei griff Schulz den türkischen Präsidenten Erdogan scharf an, obwohl er vor einigen Monaten noch den EU-Beitritt der Türkei gefordert hatte. Von dieser Position nahm er mittlerweile stillschweigend Abschied. Und die Wähler werden sich beim Thema Außenpolitik entscheiden müssen: Wollen sie die kühl agierende Kanzlerin oder den emotional auftretenden Schulz, der auch schon mal EU-Parlamentarier wegen rassistischer Angriffe aus dem Parlament warf.
Keinerlei Beachtung fanden weitere wichtige Themen wie die Klima- und Umweltpolitik, die Flüchtlingsintegration und auch den Bereich Verkehr schnitt Schulz nur am Rande. Für die Programmrede Ende Juni in Dortmund bleibt also viel Luft nach oben. Und die NRW-Wahl ist dann ja längst gelaufen.