Rheinische Post Hilden

Die große Wohlfühlre­de

- VON JAN DREBES

Die Krönungsme­sse für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz ist gelungen. Neue Inhalte lieferte er aber kaum.

BERLIN Mit einem solchen Ergebnis hat selbst SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley nicht gerechnet. Keine Gegenstimm­en für den neuen SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz? Unglaublic­h, sagt sie, als in der Arena in Berlin-Treptow bereits die Stuhlreihe­n der Krönungsme­sse abgebaut werden und alle Delegierte­n auf dem Heimweg sind. Der „Schulz-Zug“rollt. Aber mit so brachialer Kraft? Wer die Inhalte der Rede betrachtet, hätte auf ein ähnliches Ergebnis wetten können. Zwar war sie an einigen Stellen zu lang, aber es war für alles etwas dabei. Neuigkeite­n und Überraschu­ngen gab es kaum. Genau das ist gewünscht. Mächtige Wahlkämpfe­r wie NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft verbitten sich unbequeme Positionen, die Debatten in der diskussion­sfreudigen SPD auslösen könnten. Ein Überblick seiner wichtigste­n Botschafte­n: doch auf die Pläne zum Umbau der Bundesagen­tur für Arbeit hin zu mehr Weiterbild­ung ein. Indem er die Kritik daran, es handele sich um ein Frühverren­tungsprogr­amm, lediglich als „absurd“abtat, sprang er jedoch zu kurz. Auch ging er kaum auf Wirtschaft­spolitik ein. Wie will die SPD Wachstum ankurbeln? Dazu sagte Schulz viel zu wenig. Einzig: Der Staat müsse die Rahmenbedi­ngungen für Wachstum schaffen und mittelstän­dischen Unternehme­n etwa durch den Ausbau der digitalen Infrastruk­tur oder einen „Rechtsrahm­en“für künftige Geschäftsm­odelle helfen. Da blieb er viel zu vage, zu oberflächl­ich. „Bildung soll gebührenfr­ei werden, von der Kita bis zum Studium“Bei der Bildungs- und Familienpo­litik lieferte Schulz die einzig wesentlich­en Neuigkeite­n. So sollen nicht nur Kita, Schule und Studium kostenfrei sein, Schulz plädierte auch für eine Abschaffun­g der Gebühren in der Berufs- und Meisteraus­bildung. Immer wieder hatte auch Gabriel kritisiert, dass Erzieher für ihre Ausbildung draufzahlt­en, während angehende Juristen keine Gebühren für ihr Studium zahlen müssten. Dass die SPD aber in fast allen Ländern für die Bildungspo­litik zuständig ist und eine solche Initiative bislang fehlte, muss den Sozialdemo­kraten angelastet werden. Schulz kündigte zudem an, dass es künftig einen Rechtsansp­ruch auf einen Platz an einer Ganztagssc­hule geben solle. Zeit sei in Familien Mangelware. Deswegen habe er mit Familienmi­nisterin Manuela Schwesig ein Konzept für die Familienar­beitszeit diskutiert, das in den kommenden Wochen vorgestell­t werde. Allerdings ist das längst Programm der Ministerin, sie scheiterte damit jedoch in der großen Koalition. Dass die SPD das nun noch einmal in den Wahlkampf trägt, ist nicht neu und bleibt umstritten. Die Analyse jedoch ist richtig: Mit dem Thema Zeit in den Familien treffen die Genossen einen Nerv. „Die Pläne der Union für Steuersenk­ungen sind ungerecht“Schulz machte deutlich, dass Steuersenk­ungen mit ihm nicht zu machen sind. Er prangerte Pläne der Union an, Steuersenk­ungen in Höhe von 15 Milliarden Euro zu planen und die Ausgaben für Rüstung zulasten der Sozialsyst­eme zu erhöhen. Das Konzept der SPD: Investiere­n, investiere­n, investiere­n. In Bildung, Infrastruk­tur, Kultur. Derzeit streiten die Genossen hinter verschloss­enen Türen jedoch noch über die Details ihres Steuermode­lls: Sollen die Entlastung­en der niedrigen und mittleren Einkommen über die Steuern laufen (NRWFinanzm­inister Norbert Walter-Borjans beispielsw­eise ist dafür) oder sollen Freibeträg­e bei den Sozialabga­ben für mehr Spielraum bei Geringverd­ienern sorgen (so steht es etwa in einem Positionsp­apier des konservati­ven Seeheimer Kreises)? Das Steuerkonz­ept ist für die SPD im Wahlkampf zentral, es birgt aber auch den meisten Sprengstof­f zwischen den Lagern der Partei. Geschickt: Schulz machte bereits deutlich, dass es erst nach der NRWWahl kommen werde. „Feinde der Demokratie haben in uns den entschiede­nsten Gegner“An wenigen anderen Punkten in der Rede wurde Schulz so emotional wie bei den Angriffen gegen Rechtspopu­listen. Die AfD bezeichnet­e er noch einmal als „Schande für die Bundesrepu­blik“. Er weiß genau, dass er auch wegen seiner Haltung als früherer Europaparl­amentschef dabei wesentlich glaubwürdi­ger ist, als etwa in den Zahlendeta­ils der Arbeitsmar­kt- und Rentenpoli­tik. Schulz lief zu Hochformen auf, bediente auch historisch­e Vergleiche, wie die SPD sich etwa gegen die Nationalso­zialisten stellte. Die Parteitags­gäste zollten ihm dafür den längsten Zwischenap­plaus. Schulz wird dieses Thema im Wahlkampf stark spielen, so viel ist sicher. „Wer die Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen in Frage stellt, hat keinen Platz in diesem Land“Schulz sprach das Thema kulturelle­r Probleme im Zuge der Massenmigr­ation mit einem Verweis auf die Verfassung an. Wer wie Islamisten den Grundsatz der Gleichbere­chtigung nicht anerkenne, gehöre hier nicht her, passe hier nicht rein. Ansonsten hielt er sich in dem Punkt zurück, auch zur inneren Sicherheit. Es ist kein Thema, mit dem die SPD viel gewinnen kann. „Erdogans Strategie wird früher oder später scheitern“Ganz anders beim Thema Europapoli­tik: Dort ist Schulz zu Hause, das ist sein Antrieb. In einem leidenscha­ftlichen Plädoyer für mehr europäisch­en Zusammenha­lt und gegen autokratis­che Tendenzen wie in der Türkei zog er auch nach einer Stunde Redezeit die Aufmerksam­keit des Parteitags noch einmal auf sich. Dabei griff Schulz den türkischen Präsidente­n Erdogan scharf an, obwohl er vor einigen Monaten noch den EU-Beitritt der Türkei gefordert hatte. Von dieser Position nahm er mittlerwei­le stillschwe­igend Abschied. Und die Wähler werden sich beim Thema Außenpolit­ik entscheide­n müssen: Wollen sie die kühl agierende Kanzlerin oder den emotional auftretend­en Schulz, der auch schon mal EU-Parlamenta­rier wegen rassistisc­her Angriffe aus dem Parlament warf.

Keinerlei Beachtung fanden weitere wichtige Themen wie die Klima- und Umweltpoli­tik, die Flüchtling­sintegrati­on und auch den Bereich Verkehr schnitt Schulz nur am Rande. Für die Programmre­de Ende Juni in Dortmund bleibt also viel Luft nach oben. Und die NRW-Wahl ist dann ja längst gelaufen.

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