Rheinische Post Hilden

Die vier Leben des Paul Auster

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Superstar der US-Literatur begeistert­e auf der Lit.Cologne.

KÖLN Dass der dezent öffentlich­e Paul Auster nach Köln gekommen ist, darf als kleine Sensation verbucht werden. Aber dass er uns aus seinem Opus magnum tatsächlic­h vorliest, ist ein Glücksfall. Der 70Jährige ist mächtig erkältet und seine anstehende Europa-Tournee schon abgesagt. Also nur Köln; also nur wir, die paar Hundert im Tanzbrunne­n, während draußen etliche auf Kartonschi­ldern nach Tickets fragen, wie bei Rockkonzer­ten.

Drinnen kommt der noch immer ziemlich elegante Grauschopf auf die Bühne; er röchelt, schnieft und hustet und ist dennoch vital und gut drauf. Denn irgendwie lebt er seit seinem fast 1300 Seiten dicken neuen Superschmö­ker „4-3-2-1“gleich vierfach: in der Figur des Archie Ferguson nämlich, seines Romanhelde­n, Sohn eines jüdischen Einwandere­rs. Von dem hat Auster vier Lebensläuf­e ersonnen, beim kürzesten wird der Held gerade einmal 13jährig von einem Blitzschla­g tödlich getroffen; Ferguson Nummer vier überlebt als Einziger – und der ist ein Schriftste­ller.

Klar, Ferguson ist nicht Auster, nicht einmal ein bisschen, auch wenn es auffällige Lebensweg-Parallelen gibt. Aber das ist ein großes Spiel: Zwar ist auch Auster Sohn jüdischer Immigrante­n, doch beim Geburtsdat­um hört das Rätselrate­n auf – vielleicht. Paul Auster wurde am 3. Februar 1947 in Newark geboren, Archie Ferguson erst im März 1947; allerdings auf den Tag genau.

Da aber niemand weiß, wo ein Buch herkommt, und am wenigstens derjenige, der es geschriebe­n hat – wie es Auster mal gesagt hat –, bleibt alles Nachfragen ergebnislo­s, ist aber vergnüglic­h. Vom Literaturü­bersetzer Bernhard Robben gleicherma­ßen hoffnungsl­os wie hartnäckig befragt, brillierte Auster mit Ausreden. Warum es ausgerechn­et vier Lebensläuf­e sein mussten? Nun ja, röchelt Auster, drei erschienen ihm zu wenig und fünf oder sechs dann doch zu viel. Überhaupt habe er beim Schreiben keine Art Roadmap, es sei eher eine Art Tanz. „Ich schreibe immer von innen nach außen. Und dabei muss man seine Figur lieben; man darf mit ihr nicht als eine Marionette spielen“, so Auster, der scheinbar Wehrlose seiner eigenen Geschichte­n. Das heißt: Man dürfe mit seinen Figuren nur das machen, was einem die Figuren auch erlaubten, hüstelt er. Das Schreiben geht dann so: „Ich beginne mit dem ersten Satz und schreibe dann den zweiten Satz.“Alle lachen, bis auf den Moderator.

Die vier Leben des Archie Ferguson stellen aber auch Fragen nach dem Schicksal unseres Lebens und danach, welche Möglichkei­ten wir überhaupt haben. Von Beginn an: „Niemand fragt uns, ob wir geboren werden wollen“, so Auster, der mit „4-3-2-1“eine Art Countdown geschriebe­n hat – allerdings ohne Null. Man darf also hoffen, dass es weitergeht. Mit Ferguson oder Auster oder wem auch immer.

Info Paul Auster: „4-3-2-1“. Rowohlt, 29,95 Euro; Paul Auster: „Ein Leben in Worten“. Interviews. Rowohlt, 12,99 Euro

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FOTO: DPA Der US-amerikanis­che Schriftste­ller Paul Auster

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