Rheinische Post Hilden

Blutige Kunst der Passion

- VON BERTRAM MÜLLER

Durch Aktionen mit Tierkadave­rn machte sich Hermann Nitsch einen Namen. Jetzt stellt er Bilder aus, die zum Teil mit Blut gemalt sind.

DÜSSELDORF Sein Name steht in jedem Lexikon moderner Kunst: Hermann Nitsch. Das gefällt nicht allen, denn der heute 78-jährige Österreich­er wurde durch blutige Aktionen bekannt, die seit den 60er Jahren zu Beschimpfu­ngen führten: Gottesläst­erung, Verstoß gegen den Tierschutz, Wichtigtue­rei. Dabei will und wollte er, wie er heute sagt, nicht provoziere­n, sondern das Leben feiern. Die Zuschauer seines „Orgien-Mysterien-Theaters“sollten eine Katharsis, eine Reinigung, durchlaufe­n und am Ende mehr denn je spüren, was es heißt, ein Mensch zu sein.

„Da wird man vom Numinosen getroffen“, so schildert er die Aufführung­en, in denen sich nackte Frauen mit Fleisch von Tieren bedeckten und in denen auch sonst viel Blut floss, zuweilen sogar geschlacht­et wurde. „Es ist ein Schauer, der nicht nur entsetzlic­h ist. Man ist zutiefst gerührt. Und man weiß noch nicht einmal, ob das negativ oder positiv ist.“

Das gilt für die Aufführung­en, aber ebenso für die Bilder, in denen Nitsch das dramatisch­e Geschehen zu verdichten sucht. Sein Verständni­s vom Leben, das eine Passion sei, ist auch den seit 2001 entstanden­en Gemälden und Zeichnunge­n eingeprägt, die zurzeit in der Düsseldorf­er Galerie Geuer & Geuer Art unter dem Titel „Blut, Mysterien und Malerei“vereint sind. Dickpastig­e Farbe, meist Rot, rinnt von einem riesigen Ball die Leinwand hinab. Im Hintergrun­d ereignet sich das Gleiche in Dunkelbrau­n. Das bedeutet: Nitsch hat statt Farbe Blut verwandt. Auch andere Künstler des „Wiener Aktionismu­s“haben solche Schüttbild­er hervorgebr­acht.

Hermann Nitsch sitzt, wie immer in Schwarz, mitten in seiner Düsseldorf­er Schau und erklärt uns geduldig seine Bilder und Absichten. In Großformat­e bezieht er gern das Hemd ein, das er bei der Arbeit getragen hat. Ein Teil klebt rot übermalt auf der Leinwand, ein anderer ist in Schwarz davor drapiert. Kunst und Künstler, so lautet die Botschaft, sind eins.

Ist solche Kunst schön? Nitsch sagt statt Schönheit lieber Form: „Form ist das Essenziell­e, das Kunst zu bieten hat, eine Feier der Ästhetik. Die Form ist auch vorhanden, wenn etwas Entsetzlic­hes dargestell­t wird wie etwa in der griechisch­en Tragödie.“Auch die Passion Christi ist etwas Grausames, wird aber ästhetisch dargestell­t: „Denken Sie an die Malerei von Matthias Grünewald oder die Musik Johann

Hermann Nitsch Sebastian Bachs.“Da wird es also religiös. Nitsch gehört keiner Glaubensri­chtung an, bekennt aber, dass ihn alle Religionen fasziniere­n, „vom Hinduismus über den jüdischen Glauben bis zum Islam“. Er betreibe vergleiche­nde Religionsw­issenschaf­t, sagt er und erkennt im Mythos von Dionysos eine Auferstehu­ng wie in der biblischen Überliefer­ung von Jesus Christus. All das ist Teil seines Orgien-Mysterien-Theaters. Die Quintessen­z lau- tet: „Ich bejahe das Leben radikal.“Dazu gehört für ihn die Vereinigun­g von Sexualität und Spirituali­tät. Mehr noch: Das Mysterien-Theater soll durch eine Schärfung des sinnlichen Empfindens und die damit verbundene Reinigung Kriege verhindern, Aggression­en abbauen. „Wie Fußball?“, fragen wir vorsichtig. „Ja“, bestätigt Nitsch, „mit Fußball hat meine Arbeit viel zu tun.“

Das Orgien-Mysterien-Theater ist längst ein Stück Kunstgesch­ichte, doch es soll noch einmal Gegenwart werden. „Rund um meinen 80. Geburtstag“will Hermann Nitsch erneut ein Sechs-Tage-Spiel inszeniere­n, auf seinem geliebten Schloss Prinzendor­f in Niederöste­rreich und am liebsten wieder mit 500 Mitwirkend­en wie ehedem. Wieder soll es blutig zugehen, wieder sollen Tierkadave­r eine Rolle spielen. Den Tierschutz sieht der Künstler dadurch nicht verletzt: „Ich habe 99 Prozent des Fleisches, das in mei- nen Aufführung­en Verwendung fand, beim Metzger gekauft – als Fleisch von Tieren, die ohnehin zur Schlachtun­g bestimmt waren.“Und er fügt an: „Ich liebe Tiere über alles.“

Wie zum Beweis erwähnt er seinen kleinen Zoo daheim: aus einer Unzahl Hühner, Katzen, Hunde, einem Esel und vielem weiteren Getier. Vor einem Auftritt im OrgienMyst­erien-Theater, so scheint es, sind sie sicher.

„Form ist das Essenziell­e, das Kunst zu bieten hat, eine Feier

der Ästhetik“

Maler

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