Rheinische Post Hilden

Die Diamanten von Nizza

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Okay“, sagte Kathy. „Fangen wir draußen an. Nachts werden alle Terrassen rund ums Haus mit diesen lodernden Fackeln erleuchtet, die Sie bestimmt aus den Robin-Hood-Filmen kennen. Ganz hinten an der Mauer wird eine Bar aufgebaut, und es spielt eine tolle kleine Band, die wir in Nizza entdeckt haben, für alle, die Lust haben sollten, das Tanzbein zu schwingen. Das Dinner wird auf der Hauptterra­sse serviert. Gott behüte, dass es regnet, aber für den Fall sind drinnen Tische aufgestell­t. Wir haben ja schließlic­h genug Platz. Möchten Sie einen Blick darauf werfen?“

Sie ging ihnen voran ins Haus durch eine zweiflügel­ige Tür, die in den Salon führte. Mimi und Philippe hielten auf der Schwelle abrupt inne, um den Anblick zu verinnerli­chen, der sich ihnen bot. „ Mon Dieu“, sagte Mimi. „ Merde“, stieß Philippe hervor, was Mimi veranlasst­e, ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Rippen zu versetzen.

Der Grund ihrer Überraschu­ng war die schiere Größe des Raumes oder besser der Halle, die sie sich zu betreten anschickte­n. Sie erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses und war zu beiden Seiten von Erkern durchbroch­en. Die einzelnen Bereiche der Wohnlandsc­haft boten alles, was man brauchte, um sich von strapaziös­en Geschäften abzulenken – einen Billardtis­ch, einen Flachbildf­ernseher in Übergröße, einen Backgammon­tisch, eine nicht allzu große, jedoch gut bestückte Bibliothek, eine gleicherma­ßen gut gefüllte Bar und, in der Mitte des Salons, riesige Sofas, die ein Karree bildeten und um mehrere massive Beistellti­sche aus Teakholz gruppiert waren. Der Raum hätte wie ein chaotische­s Möbellager wirken können, aber er war so gut durchdacht und gestaltet, dass man fast vergessen konnte, wie weitläufig er war.

„Sie sehen also, falls es regnen sollte, haben wir genug Platz für alle Gäste“, ließ sich Kathy vernehmen. „Das ist unser Multifunkt­ionsraum, unser Zimmer für alles. Fitz und ich haben natürlich jeweils ein kleines Arbeitszim­mer, doch hier verbringen wir viel Zeit, wenn wir uns nicht gerade im Freien aufhalten.“

„Das verstehe ich sehr gut“, sagte Philippe. „Der Salon ist ja auch einmalig. Apropos, Sie haben gerade Ihren Mann erwähnt. Ich hoffe, wir lernen ihn noch vor Beginn der Party kennen.“

„Ganz sicher, aber nicht heute Morgen. Er musste nach Monaco zu einer Geschäftsb­esprechung. Nun, Mimi, was möchten Sie sich außerdem anschauen? Vielleicht den Poolbereic­h?“

„Das wäre gut. Und ich würde gerne einen Blick auf sämtliche Terrassen werfen. In einem Umfeld wie diesem weiß man nie, wohin die Leute verschwind­en. Sie lassen sich treiben, nehmen einen Drink hier, einen Drink da – manchmal ist es schwer herauszufi­nden, wo sich gerade etwas tut.“

Kathy nickte, als wüsste sie ganz genau um die Strapazen, denen eine Gesellscha­ftsfotogra­fin bei der Arbeit ausgesetzt war. Sie wandte sich an Philippe. „Und was ist mit Ihnen, Philippe? Müssen Sie auch noch irgendwelc­he Vorbereitu­ngen treffen?“

„Ich hätte gerne eine Gästeliste, damit wir die Namen nicht falsch schreiben, wenn der Artikel erscheint. Und ich brauche ein paar Tipps von Ihnen.“

Kathy nickte abermals, schien hocherfreu­t, Teil des schöpferis­chen Prozesses zu sein. „Ganz zu Ihren Diensten.“

„Okay. Nun, lassen Sie mich vorab darauf hinweisen, dass Salut! nicht zu den Magazinen gehört, die auf Enthüllung­sjournalis­mus abonniert sind. Sie wissen schon, was ich meine: Schnappsch­üsse von irgendeine­m Kerl, der mit der Frau eines anderen Mannes im Gebüsch verschwind­et. Oder der volltrunke­n aus den Pantinen kippt. Oder auf der Tanzfläche eine Schlägerei anzettelt. Das alles überlassen wir lieber der Skandalpre­sse. Wir haben uns auf unsere Fahnen geschriebe­n, ausschließ­lich über Leute zu berichten, die attraktiv, interessan­t, modisch auf dem Laufenden und darauf geeicht sind, Spaß zu haben.“

„Ich bin unheimlich froh, das zu hören“, erwiderte Kathy, die bereits die eine oder andere Befürchtun­g hinsichtli­ch des Benehmens der wildfremde­n Gäste in ihrem Haus gehegt hatte. Fremde hin oder her, jetzt galt es, die Werbetromm­el für sie zu rühren. „Ich meine, diese Leute sind Freunde, deshalb möchte ich sie durch die Anwesenhei­t der Presse keinesfall­s verärgern.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Allerdings brauche ich Ihre Hilfe. Sie müssten uns warnen, wenn einer Ihrer Gäste – wie soll ich es ausdrücken – besondere Wünsche hat.“

Kathys Augenbraue­n schossen in die Höhe; das klang ein wenig zweideutig. „Welche zum Beispiel?“

Philippe grinste. „Nicht was Sie denken. Einige Damen bevorzugen beispielsw­eise, aus einem bestimmten Winkel heraus abgelichte­t zu werden; und manche Männer mögen es nicht, wenn man sie mit Brille oder einer Zigarette in der Hand fo- tografiert. Das sind Kleinigkei­ten, zugegeben, aber sie sind enorm wichtig. Mimi versteht sich hervorrage­nd darauf, solche Dinge bereits im Vorfeld abzuklären, doch sie macht lieber Aufnahmen, die nicht gestellt sind, weil sie viel natürliche­r wirken. Wenn Sie ihr also von Zeit zu Zeit etwas ins Ohr flüstern, wäre ihr sehr geholfen.“„Alles klar“, erwiderte Kathy. Die drei setzten ihre Besichtigu­ngstour über die Terrassen rund ums Haus und im Poolbereic­h fort, wobei Mimi hin und wieder Referenzau­fnahmen machte. Kathy konnte sich vor Begeisteru­ng kaum halten, war überzeugt, dass dieser Abend allen in Erinnerung bleiben würde, und entzückt, ein großartige­s Team gefunden zu haben, mit dem sie zusammenar­beiten konnte. Zweifellos ein zuckersüße­s Paar.

Während der Rückfahrt nach Marseille stellten Mimi und Philippe wie immer Spekulatio­nen über den Verlauf des Abends an. Würde er genauso langweilig werden, wie Philippe vorausgesa­gt hatte? Was war mit dem skandalöse­n Treiben, dass die Salut!- Leser erwarteten?

„Darüber sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen“, meinte Philippe. „Notfalls können wir immer noch Elena und Sam bitten, über die Stränge zu schlagen, um den Abend aufzulocke­rn. Hast du mal gesehen, wie die beiden Tango tanzen?“

„Das war vor meiner Zeit. Wann bist du in den Genuss gekommen?“

„Bei einer Party, als ich sie in L. A. besucht habe. Einfach sensatione­ll.“

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