„Unser Wohnglück ist in Gefahr“
Ein Düsseldorfer fand in Friedrichstadt das für sich perfekte Domizil. Jetzt soll für die Schnellbahn eine hohe Mauer davor errichtet werden.
Dieser Blick hat ihn damals gleich überzeugt: in die mächtigen Baumkronen der über 100 Jahre alten Platanen. Dass direkt dahinter die SBahn fährt, hat Dieter Sawalies nie gestört. „Man hört sie kaum, und im Sommer, wenn die Bäume im vollen Laub stehen, sieht man sie nicht mal“, sagt er. Außerdem gehöre das nun mal zum städtischen Leben. Nun aber ist es mit dem Frieden vorbei – und bald wohl auch mit dem Blick. Denn das Wohnglück des Düsseldorfer Psychotherapeuten an der Gustav-Poensgen-Allee in Friedrichstadt ist in Gefahr – durch ein Großprojekt.
Vor gut einem Jahr wurden die Pläne der Deutschen Bahn bekannt: Eine neue Schnellbahn, der RheinRuhr-Express, soll die Städte Dortmund und Köln verbinden, im 15Minuten-Takt Pendlerströme durchs Ruhrgebiet transportieren und den S-Bahn-Verkehr deutlich entlasten. So weit, so gut. Laut Immissionsschutzgesetz sind Bund und Bahn verpflichtet, bei neuen Projekten für Lärmschutz zu sorgen. Für die Anwohner der Gustav-Poensgen-Allee bedeutet das: Auf den bereits existierenden vier Meter hohen Bahndamm soll noch mal eine vier Meter hohe Lärmschutzwand gesetzt werden. „Außerdem sollen die alten Baumriesen gefällt werden.“
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Dieter Sawalies, Mitglied der Bezirksvertretung, alarmiert. „Für uns würde das bedeuten, statt in die Baumkronen vor dem Haus gegen eine acht Meter hohe Wand zu blicken.“Dass seine Wohnung dadurch deutlich dunkler würde, beunruhigt ihn obendrein.
Dabei dachte er, die ideale Lösung gefunden zu haben, als er 1983 in dem Eckhaus zwei kleine Beamtenwohnungen kaufen konnte. Das Haus stammt wie die meisten seiner Nachbarn aus der Zeit des Jugendstils und wird von dichtem Efeu berankt. Ein Schmuckstück, „oft bleiben Menschen stehen und fotografieren die Fassade.“Sie hat damals auch Dieter Sawalies gleich gefallen, ebenso wie das Original-Treppenhaus, das nach einer Renovierung durch Kontraste besticht: weinroter Teppich unter silbergrauen Wänden. Aber entscheidend war, dass aus den beiden kleinen Wohnungen ein großzügiges Domizil entstehen konnte. Um seine Wohnwünsche zu verwirklichen, „habe ich damals alle nicht-tragenden Wände entfernen lassen.“
Deshalb sieht man heute schon vom Wohnzimmer aus auf einen zentralen Ort dieser Wohnung: die Schlafoase. Das Bett thront auf einem Podest, darüber eine getigerte Tagesdecke, davor weckt eine künstliche Kokospalme Fernwehträume – Dekoration mit Augenzwinkern. Die exotische Kulisse ergänzt ein knallblaues Wildschwein, das zur Kunst erstarrt ist.
Überhaupt, die Kunst: Schon in der schmalen Diele werden die Wände bis zur hohen Decke mit Fotografien geschmückt, im Zentrum das Hochzeitsbild der Großeltern – „meine Ahnengalerie“. Im großen Wohnraum treffen heimische Motive aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert des Düsseldorfer Malers Caspar Risse auf ein Nagelbild von Günther Uecker. Daneben ein hessischer Bauernschrank von 1820 und eine Kaminumrandung aus einer französischen Villa in Lille, die abgerissen wurde. Aus ihr rettete Sawalies auch eine fein gearbeitete alte Tür, durch sie betritt man heute sein Reich. Der Blick wandert zur Decke mit zwei prachtvollen Stuckrosetten und bleibt an einer farbigen Fläche hängen: „Unser Hauswappen.“Von einer Nichte gemalt, vereinigt es Düsseldorfer Symbole mit gekreuztem Elfenbein aus Kenia – der Lebensgefährte von Dieter Sawalies stammt aus Mombasa. Und hat aus seiner Heimat afrikanische Masken mitgebracht, die mitten in Friedrichstadt ein starkes Eigenleben entfalten.
Könnte alles so harmonisch sein – wäre da nicht die angedrohte Wand vor dem Haus. Mittlerweile macht sich eine Bürgerinitiative, in der Sawalies „selbstverständlich“Mitglied ist, gegen die Mauer und für den Erhalt der Baumriesen stark. Viel Unterstützung aus der Nachbarschaft hat sie bisher noch nicht: „Die meisten werden doch erst wach, wenn die Kettensägen anrücken.“