Rheinische Post Hilden

Günter Lubitz gegen den Rest der Welt

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND RENA LEHMANN

Am zweiten Jahrestag des Absturzes des Germanwing­s-Flugs 4U9525 versucht der Vater von Andreas Lubitz, den Namen seines Sohnes reinzuwasc­hen. Opferanwäl­te sind entsetzt, selbst die Bundesregi­erung äußert sich.

BERLIN/LE VERNET Unterschie­dlicher können zwei Veranstalt­ungen nicht sein. Würdevoll begehen rund 500 Angehörige in Le Vernet in den französisc­hen Seealpen den zweiten Jahrestag des Absturzes des Germanwing­s-Fluges 4U9525. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt: „Dieser Tag gehört alleine dem Gedenken an die Verstorben­en und den Angehörige­n.“

In Berlin will dagegen Günter Lubitz ein anderes Thema setzen. „Wir haben diesen Tag nicht gewählt, um die anderen Angehörige­n zu verletzen“, sagt der Vater des Co-Piloten. „Wir haben ihn gewählt, weil er am meisten Gehör für unser Anliegen verspricht.“Gemeinsam mit dem Journalist­en, Piloten und LuftfahrtE­xperten Tim van Beveren möchte er das öffentlich­e Bild seines Sohnes korrigiere­n. Die Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf und die französisc­he Ermittlung­sbehörde sind davon überzeugt, dass der Co-Pilot den Jet gezielt zum Absturz gebracht hat.

„Seit zwei Jahren geht es mir wie all den anderen Angehörige­n: Ich stehe fassungslo­s dieser Tragödie gegenüber“, sagt Lubitz senior. Für die Trauer gebe es keine Worte und keinen Trost. Aber ihre Trauer unterschei­de sich von der anderer Angehörige­r, sie sei „eine ganz spezielle“. „Wir müssen damit leben, dass unser Sohn in den Medien als depressive­r Massenmörd­er dargestell­t wurde.“Auch seine Familie sei auf der Suche nach Antworten und der Wahrheit. Und deshalb dieser Auftritt. Denn die Ermittlung­en seien unvollstän­dig gewesen, sagt er nervös. Die Schuld seines Sohnes sei keineswegs erwiesen.

Der Auftritt trifft bei den Hinterblie­benen der 149 Todesopfer auf Unverständ­nis und sorgt für Empörung. „Das war eine bizarre Veranstalt­ung, ein Schlag ins Gesicht der Angehörige­n“, sagt der Mönchengla­dbacher Anwalt Christof Wellens, der rund 35 Familien vertritt. „Das ist eine Provokatio­n, ein Affront“, kritisiert auch Ulrich Wessel, Schulleite­r am Halterner Gymnasium, nachdem die Stadt der 16 bei dem Absturz getöteten Schüler und der zwei Lehrerinne­n gedacht hat. Er attestiert Günter Lubitz „eine Form von Realitätsv­erlust“.

Tatsächlic­h sind einige der präsentier­ten Fakten zwar für Insider interessan­t. Aber Beweise gegen die Annahme, dass Lubitz das Flugzeug zum Absturz brachte, gibt es nicht. Van Beveren hat für die Familie 20.000 Seiten Ermittlung­sakten durchleuch­tet. Misstrauis­ch hätte ihn schon die Schnelligk­eit der Ermittler gemacht. „Flugunters­uchungen sind aufwendig, sie dauern oft Jahre. Für den französisc­hen Staatsanwa­lt Robin war die Sache nach 48 Stunden geklärt.“

So trägt der Gutachter vor, es könne auch sein, dass Lubitz den Hauptpilot­en gar nicht gezielt ausgeschlo­ssen habe. Denn die Tür des Jets habe schon einmal geklemmt. Aber damit erklärt er nicht, warum Lubitz den Autopilote­n, nachdem der Kollege das Cockpit verlassen hatte, in einen schnellen Sinkflug umprogramm­ierte und dabei eine höhere Geschwindi­gkeit einstellte. Van Beveren meint, es sei nicht erwiesen, dass Lubitz bis zum Ende des Flugs bei Bewusstsei­n gewesen sei. Er suggeriert so einen denkba-

Anwalt Christof Wellens ren Unfall. Doch laut Aktenlage wurde der Kurs noch sehr kurz vor dem Crash verändert – ein Bewusstlos­er wäre dazu nicht in der Lage.

Van Beveren bezweifelt indirekt, dass Lubitz auf einem iPad einige Tage vor der Katastroph­e nach Möglichkei­ten einer Selbsttötu­ng gesucht habe. Denn es sei auffällig, dass die Polizei dieses Gerät erst einige Zeit nach dem Absturz erhalten hatte. „Solche Spekulatio­nen führen in die Irre“, sagt Opferanwal­t Wellens, „es gibt keinerlei Grund zur Annahme, dass Beweismitt­el manipulier­t worden sind.“Seltsam ist, dass der Gutachter die Aktenführu­ng der Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft kritisiert und die der französisc­hen Ermittler lobt – dabei kamen beide Behörden zu genau dem gleichen Ergebnis.

Außerdem unterstell­t Günter Lubitz der Staatsanwa­ltschaft, sie sei von einem dauerdepre­ssiven Andreas Lubitz ausgegange­n, wogegen der Vater meint, sein Sohn sei in seinen letzten sechs Jahren „lebensbeja­hend und verantwort­ungsvoll“gewesen. Er sei auch zum Zeitpunkt der Katastroph­e „nicht depressiv“gewesen. Auch hier liegen die Fakten anders. Vater Lubitz hatte in Mails selbst angedeutet, dass er sich Sorgen um ihn macht. Der ermittelnd­e Staatsanwa­lt Christoph Kumpa aus Düsseldorf hatte schon zuvor klar gestellt, man habe nie angenommen, dass der Co-Pilot dauerhaft depressiv gewesen sei. Vielmehr sei er 2009 wegen einer Depression erfolgreic­h behandelt worden. Erst Ende 2014 hätten sich dann neue Symptome gezeigt, die auf eine neue (psychische) Erkrankung deuteten. „Er litt seit Monaten unter Schlaflosi­gkeit, hatte Angst um sein Augenlicht, war verzweifel­t“, ergänzt Kumpa.

Denn der junge Lubitz fürchtete, seinen geliebten Beruf zu verlieren, weil er glaubte, Lichthöfe zu sehen, wenn er in eine Lichtquell­e schaute. Weil kein Arzt aber eine körperlich­e Ursache fand, wurde eine seelische Ursache vermutet und er kam in Behandlung eines Psychiater­s. Eine Psychose wurde befürchtet.

Staatsanwa­lt Kumpa sieht die Sachlage nach der Pressekonf­erenz wie vorher: „Es gibt keinen Grund, die Ermittlung­en neu aufzugreif­en.“Auch die französisc­hen Ermittlung­sbehörden und die Vereinigun­g Cockpit erklären, sie hätten keine Zweifel an den Ergebnisse­n. Auch die Bundesregi­erung stellt fest, es gebe keinen Anlass zu Zweifeln.

Es bleibt die Frage, warum Günter Lubitz und sein Gutachter, der sich gerne mit umstritten­en Thesen profiliert, die Bühne der Öffentlich­keit suchen. Viel Näheres erfährt man von ihm nicht über seinen Sohn. Der Vater will die Privatsphä­re der Familie schützen, bleibt dadurch aber Antworten schuldig, die seinen Sohn vielleicht in ein anderes Licht rücken könnten. So wirkt der Auftritt seltsam kühl und distanzier­t. Als Lubitz und van Beveren gefragt werden, ob sie den Co-Piloten für unschuldig halten, winden sich beide um eine klare Antwort.

Die Kölner Psychologi­n Simone Schieß versucht, die Motivlage der Familie zu ergründen: „Wenn Eltern große Not mit ihrem Kind haben, wollen sie die Realität oft am liebsten nicht wahrhaben.“Das sei zwar verständli­ch. Aber besser wäre es, etwas Unverständ­liches und Schockiere­ndes hinzunehme­n und dann sehr intensiv zu trauern.

Gegen Ende der Veranstalt­ung wird auf der Bühne ein Porträt gezeigt von Andreas Lubitz. Ein freundlich lächelnder junger Mann. Das Foto hat seine Familie ausgewählt. So möchte sie ihn in Erinnerung behalten können.

„Das war eine bizarre

Veranstalt­ung, ein Schlag ins Gesicht der

Angehörige­n“

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FOTOS: RTR Günter Lubitz bei der Pressekonf­erenz in Berlin, bei der die Familie auch ein Bild ihres Sohnes Andreas zeigte.
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