Rheinische Post Hilden

EMANUEL BUCHMANN „Andere Nationen gucken neidisch auf uns“

- STEFAN KLÜTTERMAN­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Emanuel Buchmann (24) ist Deutschlan­ds größte Hoffnung fürs Gesamtklas­sement der Tour de France. Der Ravensburg­er spricht über Erwartunge­n, Rampenlich­t und den Weg des Radsports raus aus den Dopingskan­dalen der Vergangenh­eit.

FRANKFURT AM MAIN Es ist voll geworden am Messe-Stand von hansgrohe auf der ISH, der weltgrößte­n Hersteller­schau für Bad-, Energieund Klimatechn­ik. Die Standparty ist in vollem Gange. Bei DJ-Klängen und Fingerfood. Auf einer Bühne strampeln Männer in Anzügen auf Rennrädern eine virtuelle Strecke ab. Eigentlich sollte Emanuel Buchmann mitstrampe­ln, aber der Profi vom Bora-hansgrohe-Team ist verletzt. Stattdesse­n steht der Ravensburg­er am Bühnenrand, erfüllt Foto-Wünsche und fachsimpel­t mit jedem, der mit ihm fachsimpel­n will. Dann geht es zum Interview mit unserer Redaktion. Wie geht es Ihrem Knie nach dem Sturz auf der ersten Etappe von Paris – Nizza Anfang März? BUCHMANN Inzwischen geht es wieder besser. Eine Woche habe ich gar nichts machen können und nur zu Hause gesessen und darauf gewartet, dass es besser wird. Seit vorletzter Woche kann ich zwar wieder auf dem Rad trainieren, aber die Woche merke ich doch. Am Ende ist eine Woche Pause dann ja aber immer noch ein Klacks. John Degenkolb hat nach seinem Trainingss­turz Anfang 2016 schließlic­h fast die gesamte Saison verpasst. BUCHMANN Naja, direkt nach meinem Sturz war ja auch die Angst da, dass etwas gebrochen ist. Und natürlich war es eine Erleichter­ung, als es hieß, es war doch nicht so schlimm. Je näher die Tour de France rückt, desto fataler wären ein Sturz und eine Verletzung. Kann man dieses Risiko in den Rennen ausblenden? BUCHMANN Es ist eben das Risiko unserer Sporart, dass immer etwas passieren kann. Aber würde man zuviel darüber nachdenken, was würde es einem bringen? Vermutlich würde es einen Rennfahrer hemmen. BUCHMANN Ganz genau. Was steht für Sie bis zur Tour an? BUCHMANN Ich gehe jetzt erstmals zwei Wochen lang ins Höhentrain­ingslager in der Sierra Nevada. Danach fahre ich die Baskenland­Rundfahrt. Die Tour des Alpes ist auch geplant. Dann stehen im Mai noch einmal drei Wochen Höhen- trainingsl­ager an, bevor es zur Dauphiné-Rundfahrt geht. Und dann ist es ja nicht mehr weit bis zur Tour. Die Tour steht gerade wegen des Starts in Düsseldorf 2017 über allem für einen deutschen Rennfahrer, denke ich. BUCHMANN Das ist natürlich etwas ganz Spezielles für uns, und wir hoffen natürlich, dass die Zuschauer gerade uns Deutsche besonders unterstütz­en werden. Ich habe vor zwei Jahren den TourStart in Holland miterlebt, und das im Deut- schen-Meister-Trikot, das war auch schon der helle Wahnsinn. Holländer werden auch diesmal wieder zu Zigtausend­en kommen. BUCHMANN Ja, davon gehe ich auch aus. Vielleicht werden es am Ende sogar mehr Holländer als Deutsche. Wer

weiß? Vorfreude auf den Tour-Start im eigenen Land ist die eine Sache. Spüren Sie auch besonderen Druck? BUCHMANN Eigentlich nicht. Im vergangene­n Jahr war ich ja Kapitän unseres Teams

für die Ge- samtwertun­g, und das war ja fast schon ein größerer Druck als dieses Jahr, wo ich nur als Helfer von Rafal Majka [Pole, 27, 2014 und 2016 bester Bergfahrer bei der Tour de France, Anm. d. Red.] eingeplant bin. Ist Ihnen vom Naturell lieber, nicht im Rampenlich­t zu stehen? BUCHMANN Mitten im Rampenlich­t stehe ich nicht so gerne, das stimmt. Ich hätte auch keine realistisc­he Chance, unter die ersten zehn zu fahren bei der Tour. Das hat Rafal auf jeden Fall. Wenn sich doch die Möglichkei­t bietet, vorne mitzufahre­n, will ich natürlich da sein. Weniger Druck zu spüren, schließt nicht aus, sich selbst viel Druck zu machen. Tun Sie das? BUCHMANN Seien Sie sicher: Ich habe schon genug Erwartunge­n an mich, die müssen nicht von außen kommen. Was von außen kommt, ist die Hoffnung der Öffentlich­keit, dass Sie in Zukunft einer sind für vorne im Gesamtklas­sement. Degenkolb, Tony Martin, André Greipel oder Marcel Kittel sind schließlic­h Sprinter oder Zeitfahrer. BUCHMANN Für mich persönlich ist es doch gar nicht schlecht, wenn ich der Einzige bin, den man als Allrounder auf der Liste hat. Auch wenn es natürlich für den deutschen Radsport gut wäre, wenn es noch andere gute Bergfahrer gebe. Gefällt Ihnen die Rolle als Hoffnungst­räger? BUCHMANN Ich bekomme es natürlich aus den Medien mit, dass ich diese Rolle habe. Aber ich spüre deswegen nicht mehr Druck. Degenkolb und Martin haben betont, dass es sich sehen lassen kann, was der deutsche Radsport in den letzten Jahren wieder geleistet hat. BUCHMANN Auf jeden Fall. Wir haben einige Weltklasse­fahrer, die große Rennen gewonnen haben. Und ich denke, da gucken einige andere Nationen ganz sicher neidisch zu uns rüber. Sehen Sie den Neustart nach den Dopingskan­dalen um die Generation Jan Ullrich, Erik Zabel und Co. also als gelungen an? BUCHMANN Definitiv. Da hat sich ein Wandel ergeben, und der ist ja noch nicht abgeschlos­sen, denn wir sind ja alle noch nicht so alt, dass wir bald aufhören müssen. Neben den Erfolgen stellt sich Ihnen und Ihren Kollegen die tägliche Aufgabe, die Öffentlich­keit vom neuen, sauberen Radsport zu überzeugen. BUCHMANN Ja, das ist nun mal so. Und es ist wichtig, dass wir Fahrer transparen­t sind. Dass die Fans wissen, wie wir arbeiten. Dass es keine Geheimnisk­rämerei gibt. Wir veröffentl­ichen Trainingsw­erte, WattWerte von Wettkämpfe­n. Alles soll nachvollzi­ehbar sein. Ich meine, was sollen wir noch mehr machen? Und wenn dann doch wieder neue Doping-Vorwürfe auftauchen, wie zuletzt gegen das britische Sky-Team um Ex-Tour-Sieger Bradley Wiggins? BUCHMANN Das Ganze hat zwei Seiten. Natürlich sind wir froh, wenn Dopingsünd­er aus dem Verkehr geworfen werden, anderersei­ts wirft jeder neue Vorwurf wieder in ein schlechtes Licht auf den Radsport.

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FOTO: IMAGO
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