Rheinische Post Hilden

„Absage an rot-rote Flirtereie­n“

- VON DANIEL KIRCH, HÉLÈNE MAILLASSON, BIRGIT REICHERT, JOHANNES SCHLEUNING

Annegret Kramp-Karrenbaue­r lässt die CDU frohlocken. Sie zeigt ihrer Partei, dass der Schulz-Effekt der SPD nicht alles ist.

SAARBRÜCKE­N (RP/dpa) Als Annegret Kramp-Karrenbaue­r 40 Minuten nach der ersten Prognose die Saarlandha­lle erreicht, muss sie sich ihren Weg zu den Wahlstudio­s der TV-Sender durch das dichte Gedränge bahnen. Immer wieder fallen Parteifreu­nde ihr und ihrem Ehemann Helmut um den Hals. „Die können sich den ganzen Abend noch küssen“, ruft genervt ein ZDFTechnik­er, der fürchtet, dass der Zeitplan ins Rutschen gerät.

Die Erleichter­ung steht der Ministerpr­äsidentin ins Gesicht geschriebe­n. Kramp-Karrenbaue­r ist offensicht­lich überrascht vom starken Ergebnis ihrer Partei, das sämtliche Umfragen der vergangene­n Tage und Wochen widerlegt. Strahlend tritt sie vor die Kameras: Das Resultat sei ein „klarer Auftrag“und „eine deutliche Absage an rot-rote Flirtereie­n“. Großer Jubel auf der CDUWahlpar­ty: „Das halte ich nicht aus“, rufen einige vor Freude. Auch Innenminis­ter Klaus Bouillon wundert sich: „Das hätten wir nicht einmal geträumt.“

Der Sieg tut Kramp-Karrenbaue­r doppelt gut: Zum einen, weil sie weiter die Geschicke des kleinsten deutschen Flächensta­ates steuern kann. Zum anderen – und das dürfte etlichen Christdemo­kraten eine noch größere Genugtuung sein –, weil der „Schulz-Effekt“doch nicht gereicht hat. Zwar hat die Begeisteru­ng um Kanzlerkan­didat Martin Schulz den Genossen an der Saar sicher ein paar Prozentpun­kte extra verschafft; am Ende reichte es aber nicht für eine rot-rote Mehrheit, die vor der Wahl möglich schien.

Enttäuscht­e Gesichter deshalb bei der SPD. Als Schulz am Freitag zum dritten Mal im Wahlkampf an die Saar reiste, gab die SPD zwei Wahlziele aus: stärkste Kraft werden und den Einzug der AfD in den Landtag verhindern. Beide Ziele hat sie verfehlt – trotz Schulz. Der war im Wahlkampf von der SPD als „hal- ber Saarländer“verkauft worden, weil dort sein Vater aufgewachs­en ist. In Spiesen-Elversberg bei Neunkirche­n wohnt noch heute Schulz’ Großcousin.

Führende Sozialdemo­kraten geben sich am Abend erst gar keine Mühe, das Ergebnis schönzured­en. „Wir hatten uns mehr vorgenomme­n“, sagt Spitzenkan­didatin Anke Rehlinger. Für das schwache Abschneide­n bietet die SPD-Landesspit­ze zwei Erklärunge­n an: KrampKarre­nbauers Amtsbonus und die Diskussion um Rot-Rot. Rehlinger spricht von einem persönlich­en Erfolg Kramp-Karrenbaue­rs und gratuliert ihr. Auf der Schlussstr­ecke sei es häufig so, dass der Bonus des Amtsinhabe­rs zu Buche schlage, das hätten Kramp-Karrenbaue­r und die CDU genutzt.

Nun müssen sich Kramp-Karrenbaue­r und Rehlinger für ein Regierungs­bündnis zusammenra­ufen. Sie haben zwar in der großen Koalition gut Seite an Seite gearbeitet. Im Wahlkampf aber sind aus Partnerinn­en Rivalinnen geworden – da wurde Porzellan zerschlage­n. Streitthem­en wie die von der SPD geforderte Teil-Rückkehr zur neunjährig­en Schulzeit an Gymnasien oder die kostenlose Kita-Betreuung werden in den Koalitions­verhandlun­gen Zündstoff liefern.

Die SPD räumt auch ein, dass die Diskussion über ein mögliches rotrotes Bündnis Wähler abgeschrec­kt hat. Rehlinger klagt, es sei zuletzt weniger um Inhalte gegangen, sondern „sehr zugespitzt“um die Koalitions­frage: „Das hat uns den einen oder anderen Wähler abspenstig gemacht.“Die SPD sei in einer Zwickmühle: 2009 habe sie eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlo­ssen, 2012 aber schon. „Beide Male ging es nicht gut aus.“

„Wir sind auch abgestraft worden, weil die Linke mit Lafontaine nicht gewollt wurde“, sagt der Europaabge­ordnete Jo Leinen und findet deutliche Worte: „Der Schulz-Effekt hat uns ein wenig in die Irre geleitet und uns angesichts des eigentlich­en Wählerwill­ens wohl getäuscht.“Bundesjust­izminister Heiko Maas, selbst Saarländer, sagt über den Spitzenkan­didaten der Linken: „Die Person Oskar Lafontaine polarisier­t bis weit in das SPD-Lager hinein.“

Der 73-jährige Lafontaine ist mit der Linken zwar wieder drittstärk­ste Kraft geworden, gehört aber trotzdem zu den Verlierern: Er hätte seine Partei gerne in die Regierung gehievt. Für ihn persönlich wäre es ein Art Comeback gewesen, war er doch von 1985 bis 1998 SPD-Ministerpr­äsident an der Saar. Lafontaine wäre der Königsmach­er gewesen, auch ohne Regierungs­amt. Aber aus der Traum: Aus einer ersten Landesregi­erung in Westdeutsc­hland mit Linke-Beteiligun­g wird nichts.

Zu den Gewinnern gehört auch die AfD, obwohl sie deutlich im einstellig­en Prozentber­eich bleibt. „Wir können nun die Regierende­n vor uns her treiben. Es soll ein bisschen unruhiger werden“, kündigt der Landesvors­itzende Josef Dörr an.

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FOTO: REUTERS Die Wahlverlie­rerin Anke Rehlinger (SPD, l.) gratuliert der Wahlsieger­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU).

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