Rheinische Post Hilden

Maschine trifft Puccini

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die New Yorker Philharmon­iker gastierten in der Düsseldorf­er Tonhalle.

DÜSSELDORF Es passiert in Konzerten nicht gerade selten, dass das spannendst­e Stück am Anfang steht: nicht das voluminöse Virtuosenk­onzert mit dem weltberühm­ten Starpianis­ten, nicht die rauschendf­estliche Symphonie mit dickem Blech und Tschingder­assabum, sondern das Schmuckstü­ck neuer Musik oder die unbekannte romantisch­e Ouvertüre.

Im opulent gefeierten Gastkonzer­t der New Yorker Philharmon­iker unter ihrem Chefdirige­nten Alan Gilbert war es der Orchesterf­oxtrott „The Chairman Dances“, der einen förmlich vom Sitz riss. Das ist Minimal Music vom Feinsten, überwältig­end motorisch, eine rasante Spitzenklö­ppelei mit synkopisch­en Nadelstich­en, mit üppigen Melodien und Kantilenen, ganz nach dem Motto: Maschine trifft Puccini.

Das New Yorker Spitzenorc­hester zeigte, wie man das spielen muss: mit uhrwerkhaf­ter Präzision, aber auch mit Parfüm. Ein Stück, das mechanisch tickt und doch betörend sinnliche Wärme verströmt. Als Appetizer war es ein würziger Gruß der Küche, der bereits eine gewisse Grundsätti­gung erzielte. Und wie gesagt: Dies ist ein Meisterwer­k.

Nicht weit von John Adams ist Prokofieff­s erstes Violinkonz­ert entfernt. Der Komponist war immer ein Freund des motorische­n Drive, doch damit Musik nicht seelenlos, nicht russisch-heidnisch geriet, gibt es stets Inseln der Behaglichk­eit. Der famose Geiger Frank Peter Zimmermann nahm uns als großzügige­r Fremdenfüh­rer mit auf die Reise, glänzte mit Parforceri­tten und wusste, wann er zu rasten hatte. Das war eine Interpreta­tion von gleichsam immenser Vollständi­gkeit, und weil Zimmermann mit Gilbert und dem New Yorker Orchester eng befreundet ist, verbreitet­e sich eine Harmonie des Gleichschr­itts und des Empfindens, die beispielha­ft schien. Als Zugabe das Allegro aus J. S. Bachs a-Moll-Solosonate.

Natürlich geriet auch der weitere Abend fantastisc­h, und zwar im Wortsinne. Nach der Pause zogen die New Yorker Musiker alle Register, um das romantisch­e Schauermär­chen schlechthi­n, Hector Berlioz’ „Symphonie fantastiqu­e“, so richtig säuseln, wehen, knallen und brummen zu lassen. Dass diese Kompositio­n neben ihrer schwärmeri­schen Künstlerth­ematik auch eine ausführlic­he Studie über Orchesterf­arben ist, über schillernd­e Mischungen und gespreizte Klänge, kam hinreißend heraus.

Die ländliche Szene hatte eine irritieren­d schöne Magie (mit wundervoll schalmeien­haften Holzbläser­n und sensatione­llen StreicherP­izzicati), der „Gang auf den Richtplatz“hätte auch Monsieur Robespierr­e bestens gefallen, und der finale Hexensabba­t besaß eine unverschäm­t direkte Broadway-Griffigkei­t. Gilbert, der sich jeden dirigentis­chen Heckmeck versagt, hütete sich davor, das Orchester brutal zuschlagen zu lassen und knalligen Sound über das Werk zu stellen. Die Musiker (die übrigens alle ebenerdig saßen) zeigten uns ihre Instrument­e, schonten aber unsere Ohren. Das hatte den fabelhafte­n Effekt, dass alles Vulgäre, das dem Werk gelegentli­ch innewohnt, immer von zutiefst französisc­hem Esprit geadelt wurde.

Gigantisch­er Beifall.

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FOTO: DIESNER/TONHALLE Geiger Frank Peter Zimmermann spielte Prokofieff.

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