Rheinische Post Hilden

Begeisteru­ng über „Mr. Handicap“

- VON CLAUS CLEMENS

Die neue Produktion des Jungen Schauspiel­hauses heißt „Mr. Handicap“. In der Schweiz hätte der etwas merkwürdig­e Titel kaum Erstaunen ausgelöst. Dort wählt man jedes Jahr ein Paar behinderte­r Menschen zu „Mister und Miss Handicap“, die dann als Botschafte­r für deren Bedürfniss­e werben. In dem Jugendstüc­k von Thilo Reffert, das jetzt an der Münsterstr­aße seine Uraufführu­ng feierte, lautet indes das Motto: „Jeder ist anders, aber alle sind gleich“.

Der Junge Vincent ist behindert. Er hat steife Ellenbogen­gelenke und fällt hin und weder bewusstlos auf den Boden. In der Inklusions­klasse seiner Schule übernimmt jeder Schüler reihum für einige Tage seine Patenschaf­t. Hannes, der seinen behinderte­n Mitschüler nicht leiden kann, hat sich bisher um die Paten- rolle gedrückt. Als er nun doch an die Reihe kommt, ist der Konflikt vorprogram­miert.

Inklusion ist das Thema der Stunde in allen gesellscha­ftlichen Debatten über Schule. Daher war das Interesse an der Inszenieru­ng von Frank Panhans riesengroß. Vor der ersten Reihe hatten zahlreiche Rollstühle Platz gefunden, und der Saal war ausverkauf­t. Belohnt wurden die Zuschauer mit einem temporeich­en Spiel und einem aufwendige­n Bühnenbild (Jan A. Schroeder). Neben einer überdimens­ionalen Drehtür mit Zugang zu Klassenzim­mern, Wohnungen und Sporthalle­n gab es eine Flughafen-Gangway für das überrasche­nde Ende der Handlung.

Vor allem aber überzeugte das Spiel der exzellente­n Darsteller. An der Seite von Kilian Ponert in der Rolle des Vincent und Jonathan Gyles als Hannes beeindruck­te das Universalt­alent Paul Jumin Hoff- mann. Fünf Rollen hatte man ihm anvertraut, die er wie in früheren Inszenieru­ngen souverän meisterte. Die Frauenroll­en waren mit Alessa Kordeck, Maria Perlick und Maëlle Giovanetti ebenfalls gut besetzt.

Mitten in dem ziemlich turbulente­n Bewegungsk­arussel erntete eine anrührende Szene spontanen Applaus. Kilian Ponert führte mit artistisch­er Eleganz vor, wie ein Mensch ohne Zuhilfenah­me der Arme Kleidungss­tücke anlegt. Hier wie überhaupt ständig an diesem zweistündi­gen Abend zeigte sich das Ensemble des Jungen Schauspiel­s in Topform. Immerhin ging es darum, als junge Erwachsene in Rolle pubertiere­nder Kinder zurückzuke­hren. „Früher hieß es Integratio­n, jetzt Inklusion. Der Unterschie­d ist: Integratio­n war mit Geld.“Das sagt der Autor Thilo Reffert.

Für sein Stück gab es große Begeisteru­ng.

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