Goethe entdeckt den Zwischenkieferknochen
Seine Zeit an der Universität in Leipzig hatte Johann Wolfgang von Goethe nach Kräften genutzt. Neben Jura studierte er auch Literatur und Kunst, Malerei und Kunstgeschichte. Später in Straßburg rückte er Medizin in den Mittelpunkt seines Interesses und besuchte einen Sezierkurs. Das erworbene Wissen sollte ihm Jahre später dienen. 1784 – Goethe war längst ein angesehener Dichter – packte ihn erneut die Leidenschaft für Anatomie. Wann immer es ihm möglich war, reiste der Dichter nach Jena, wo er mit Justus Christian Loder die Schädel von Menschen untersuchte. Die beiden wollten einen ganz bestimmten Knochen finden, den Os intermaxillare oder Zwischenkieferknochen. Dieser ist bei den meisten Tierarten zu finden, beim Menschen aber nicht. Dies galt als Beweis dafür, dass Menschen nicht von Tieren abstammen, sondern eine Sonderstellung innerhalb der biblischen Schöpfungsgeschichte haben. Goethe fand am 27. März 1784 am Schädel eines Embryos die Lösung für das Rätsel: Der Knochen, für den Menschen unwichtig, ist im Schädel zwar angelegt, verbindet sich aber schon im Säuglingsalter mit dem Oberkieferbein. Goethe machte die Entdeckung publik und stellte die Schöpfungsgeschichte in Frage. In seiner „Abhandlung aus dem Knochenreiche“schrieb er, dass man „den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts einzelnem finden könne. Vielmehr ist der Mensch aufs nächste mit den Tieren verwandt“.