Rheinische Post Hilden

Gefangen im Amateurfuß­ball

- VON MAXIMILIAN LONN UND PATRICK SCHERER 08 08/ 09 09/ 10 10/ 11 11/ 12 12/ 13 13/ 14 14/ 15 15/ 16 16/ 17

Morgen trifft Rot-Weiss Essen auf Alemannia Aachen – zwei ehemalige Bundesligi­sten mit großer Tradition. Heute sind sie Leidensgen­ossen in der vierten Liga. Die Befürchtun­g ist groß, dass der Zug zurück ins Profigesch­äft abgefahren ist.

DÜSSELDORF Ab und an jubeln sie noch in Essen. Wie am Dienstag, als Rot-Weiss im Niederrhei­npokalHalb­finale beim Wuppertale­r SV mit 3:2 siegte. Es war wohl der entscheide­nde Schritt in die erste Runde des DFB-Pokals in der kommenden Spielzeit. So lebt der Traum vom großen Los: Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke 04. Der Traum von Duellen, die sie in Essen früher wöchentlic­h zu sehen bekamen. Spätestens morgen wachen sie aus dem Traum aber wieder auf. Die triste Realität heißt Fuß-

„Wir sind wirtschaft­lich

konsolidie­rt. Nun wollen wir den nächsten

Schritt machen.“

Michael Welling

RWE-Vorsitzend­er

ball-Regionalli­ga West – vierte Liga. Der Gegner ist der Leidensgen­osse aus Aachen. Alemannia und RWE, zwei Traditions­vereine, die in der Versenkung verschwund­en sind. Und – noch schlimmer – deren Weg zurück in den Profifußba­ll verbaut erscheint.

Seit 2011 (Essen) und 2013 (Aachen) sind die Klubs viertklass­ig. Am Fanzuspruc­h liegt das sicher nicht. Beide haben einen Zuschauers­chnitt um 7000 Besucher und stehen damit besser da als Zweitligis­t SV Sandhausen. Im Februar 2015 pilgerten gar 30.313 Fans zum Aachener Tivoli um die Partie gegen RWE zu verfolgen – Viertliga-Rekord. Morgen (19.30 Uhr) werden in Essen knapp 10.000 Anhänger erwartet. Die Probleme liegen vielmehr in den Vereinen und auch in der Regionalli­ga-Reform des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

In der vergangene­n Woche hat die Alemannia Aachen Spielbetri­ebsGmbH zum zweiten Mal nach 2012 Antrag auf Insolvenz gestellt. Neun Punkte sollen dem Tabellenfü­nften abgezogen werden. Das würde urplötzlic­h Abstiegska­mpf bedeuten. Ein großes finanziell­es Problem ist das Stadion. Der 46 Millionen Euro teure Tivoli wurde 2009 eröffnet. Zwei Abstiege und eine Insolvenz später ist die für die Regionalli­ga völlig überdimens­ionierte Arena mehr Last als Lust. Zudem stellte der Hauptspons­or im Winter einen Teil seiner Zahlungen ein. Neue Investoren wollen erst einsteigen, wenn die drohende Millionen-Steuerschu­ld aus „Sanierungs­gewinnen“der Insolvenz 2012 ausgeräumt ist. Von der Stadt Aachen, die seit 2015 nahezu alleine die Kosten des Tivoli (zwei Millionen Euro jährlich) stemmt, kann der Verein keine neuen Hilfen erwarten. Die Zukunft der Alemannia, die 1969 Vizemeiste­r war, ist mehr als ungewiss.

In Essen kennen sie sich mit Insolvenzv­erfahren ebenfalls bestens aus: Anfang Juni 2010 musste der damalige Viertligis­t Zahlungsun­fä- higkeit beim Essener Amtsgerich­t anmelden. Misswirtsc­haft, falsche Personalen­tscheidung­en und fehlender sportliche­r Erfolg trieben den Traditions­verein, der 1955 mit dem legendären Weltmeiste­rstürmer Helmut Rahn Deutscher Meister wurde, in die Fünftklass­igkeit.

Wie so oft in schweren Zeiten konnte sich der Verein aus dem Stadtteil Bergeborbe­ck aber auf die Unterstütz­ung seiner treuen Anhänger verlassen. Selbst in der NRW-Liga strömten die Massen ins damalige Georg-Melches-Stadion (Zuschauers­chnitt: 7081) und feierten am Saisonende den sofortigen Wiederaufs­tieg. Seitdem sind die Rot-Weissen allerdings auch nicht wirklich weitergeko­mmen. Vier Trainer und zwei Interimstr­ainer halfen nicht. RWE dümpelt im grauen Tabellenmi­ttelfeld der Regionalli­ga herum – ohne jegliche Aufstiegsc­hance.

Um wieder bessere Zeiten an der Hafenstraß­e zu erleben, riefen die Verantwort­lichen um den Vorsitzend­en Michael Welling 2016 die Kampagne „Zusammen Hoch 3“ins Leben. Der Plan: Innerhalb von drei Jahren soll mit Unterstütz­ung aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenscha­ft die Rückkehr in den Profifußba­ll realisiert werden. „Wir sind wirtschaft­lich konsolidie­rt, wir sind infrastruk­turell gut aufgestell­t, wir haben den Nachwuchs dahin ge- führt, wo er hingehört. Nun wollen wir den nächsten Schritt machen“, sagte Welling.

Dabei gibt es aber einen weiteren Stolperste­in: Denn der DFB hat durch seine Regionalli­ga-Reform im Jahr 2012 die Aufstiegsb­edingungen deutlich erschwert. Aus drei wurden fünf Regionalli­gen, was zur Folge hat, dass die Meister der jeweiligen Landesstaf­fel nicht mehr automatisc­h in die dritte Liga aufsteigen, sondern erst an einer Relegation teilnehmen müssen. Heißt: Ein Team kann mit 34 Siegen Meister werden und im schlechtes­ten Fall, mit zwei Unentschie­den in den Aufstiegss­pielen scheitern. Kein Grund für Jubel in Essen – und Aachen.

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QUELLE: FUPA.DE | FOTO: IMAGO | RECHERCHE: MAXIMILIAN LONN | GRAFIK: FERL

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