Der Papst, der zurücktrat
Das achtjährige Pontifikat von Papst Benedikt XVI. könnte eines der nachhaltigsten der Kirchengeschichte gewesen sein.
ROM Sein Pontifikat begann mit einer Katastrophe – zumindest einer grammatikalischen. „Wir sind Papst“titelte die „Bild“zur Wahl Joseph Ratzingers und sorgte damit für Heiterkeit und Unmut. Mag sein, dass ein nationales Bekenntnis damals – vor fast zwölf Jahren – wirklich lächerlich war, frech, vor allem dem Boulevard geschuldet. Doch ganz falsch war diese Aussage nicht, erst recht nicht in der wie stets besserwisserischen Rückschau.
Mit Papst Benedikt XVI. wurde nach 482 Jahren erstmals wieder ein Deutscher zum katholischen Oberhaupt. Der kam aus einem Land mit weltkirchlich zwar marginaler, theologisch aber immer noch gehöriger Bedeutung. „Benedetto“war von Beginn zweierlei: einer der größten Theologen auf dem Stuhle Petri und ein deutscher Pontifex. Mit seiner Wahl in einem der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte und seinem Auftritt auf der Loggia der Peterskirche wurde augenscheinlich, dass eine deutsche Herkunft kein Anlass zum Vertrauensentzug war. Ein deutscher Name konnte also wieder zum Integritätssymbol höchsten Niveaus werden, wie es Peter Sloterdijk nannte.
Mit Benedikts spektakulären Amtsverzicht im Februar 2013 mutet jede Rückschau zu seinem 90. Geburtstag am kommenden Ostersonntag wie ein Nachruf an. Der deutsche Papst aber lebt, sehr abseits der Öffentlichkeit, im früheren Kloster „Mater Ecclesiae“in den vatikanischen Gärten. Der Rücktritt markiert sein Amtsverständnis: Johannes Paul II. sah sich in der Stellvertretung Jesu, Benedikt hingegen im Petrusdienst. Und während darum der eine das ihm aufgegebene Kreuz bis zuletzt und jenseits alles Zumutbaren zu tragen gewillt war, hat der andere diesen „unmöglichen Job“niedergelegt zu einer Zeit, da die schwindenden Kräfte ein verantwortliches Handeln immer schwerer machten.
Das ist kein Scheitern gewesen. Es war vielmehr ein Verzicht in Demut vor der so hohen Berufung. Und er hat das Verständnis von Amt und Kirche damit mehr verändert, als es manche Enzykliken seiner Vorgänger vermochten. Benedikt hat dem Papstamt ein Gesicht gegeben, er hat das Wirken menschlich gemacht und von der vielfach falsch verstandenen Unfehlbarkeit befreit. Was für ein Anspruch, den Benedikt auf das Maß eines Sterblichen zurückstutzte. Der Papst wird gewählt, nicht geweiht. Sein Amt ist eine Aufgabe, die vom Konklave übertragen wird und die Benedikt ans Konklave wieder zurückgab. „Stilbildend“hat der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf diese Haltung genannt.
Als Benedikt gewählt wurde, war er 78. Und seine Wahl war nicht überraschend. Zum einen schien es keine überzeugende Alternative zu geben, zum anderen hatte der damals dienstälteste Kurienkardinal bei der Totenfeier für Johannes Paul II. ungewollt alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und mit seiner Predigt über die „Diktatur des Relativismus“die Welt aufhorchen lassen. An Ratzinger führte also kein Weg vorbei, vorerst. Denn nach den vielen und zuletzt lähmenden Amtsjahren seines Vorgängers schien sich der Vatikan mit einem „Übergangspapst“Zeit zum Atemholen verschaffen zu wollen. Es kam anders, und daran änderte auch der spätere Rücktritt nichts.
Benedikt war der erste gewählte Papst des dritten Jahrtausends, der den Glaubenskern einer 2000 Jahren alten Institution zu bewahren und zugleich in der Moderne zu verankern hatte. Wie gut also, dass dieser Übergang einem großer Denker anvertraut wurde. Er hat bewahrt, was aufzugeben existenzbedrohend werden könnte. Seine Theologie ist das Fundament, auf dem sich Papst Franziskus berufen kann, wenn er einmal mehr zu spontan und unkonventionell handelt.
Tatsächlich ist Benedikt ein Papst des Übergangs; aber nicht im kirchenhistorischen Sinne einer akzeptablen Verlegenheitslösung, sondern des Übergangs zweier Zeitalter. Dazu gehört vor allem sein noch immer wegweisender Beitrag zur Aussöhnung von Glaube und Vernunft, die der Kirche mit den Mitteln der Aufklärung das Mysterium zu bewahren suchte, ohne sich dem Vorwurf des nur noch Mysteriösen aussetzen zu müssen. Dazu gehört auch seine Warnung vor einer zunehmenden Verweltlichung von Kirche. Als Benedikt darüber während seines Deutschlandbesuches 2012 sprach, wurde dies allzu schnell und allzu leicht als ein Angriff auf den Laienkatholizismus hierzulande mit seiner feingliedrigen Organisationsstruktur gedeutet und kritisiert. Ihm aber trieb die Sorge um, dass Kirche sich selbstgenügsam in dieser Welt einzurichten beginnt; dass es an der Klarheit des Zeugnisses fehlt. Benedikt misstraut einer Wohlfühlkirche. Für ihn muss die Kirche eine Provokation, ein Skandal bleiben und der Glaube ungeheuerlich sein – und notfalls in der Diaspora. Auch das stand einem Geistlichen vor Augen, der seit seiner Zeit als junger Konzilstheologe die Modernisierungsversuche verfolgt, begleitet, mitgestaltet hat.
All das hat viel Kraft gebraucht, viel Zeit verschlungen. Zumal er auf seine Leidenschaft des Bücherschreibens, die sich ein Papst eigentlich nicht leisten kann, nicht verzichten wollte. Seine drei umfänglichen Bücher über das Leben und Wirken Jesu gehören zu jenen Schriften, die neben etlichen anderen nachhaltig wirken werden. Die Bücher sind auch eine Einladung, das Evangelium zu lesen, zu entdecken und nicht in menschlicher Hybris und hochmütig für die eigenen Belange auszulegen.
So fehlte ihm die Zeit – und wohl auch das Interesse –, sich der Kirchenpolitik und dem Vatikan, vor allem der Kurie, eingehender und sorgsamer anzunehmen. Die hatte schon unter dem Vorgänger ein machtorientiertes und denunziationsfreudiges Eigenleben zugelegt, das Benedikt nicht aufzubrechen vermochte und an dem sich aktuell auch Franziskus die Zähne auszubeißen scheint. Ohnehin ist Benedikt ein vorsichtiger Mensch mit ei- ner guten, vielleicht zu guten Portion Scheu vor neuen Begegnungen. Man ahnt, welcher Angang es für ihn gewesen sein muss, kurz nach der Wahl nach Köln zu kommen, zum Weltjugendtag: als neuer Papst, den der Nachwuchs der Weltkirche jubelnd und hoffend empfing.
Seine Vorliebe fürs Denken (nicht fürs Verwalten) und seine skeptische Grundhaltung sind eine nicht ganz glückliche Kombination, die immer wieder zu heiklen diplomatischen Krisen und Missverständnissen führte: Seine Regensburger Rede 2006 über die Gewalt im Islam sorgte wochenlang für erregte Debatten, ebenso die Zulassung der Karfreitagsfürbitte, in der für die Erleuchtung der Juden gebetet wird. Sein Zugehen auf den HolocaustLeugner Williamson von den PiusBrüdern irritierte ebenso sehr wie die Zulassung der Messe in lateinischer Sprache, die ihn zum Erzkonservativen stempelte. Auch der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche führte nicht zu einem spürbaren Neuanfang, zudem wanderten vertrauliche Akten an die Öffentlichkeit. Diplomatisch war das Pontifikat ein Dilemma. Wenig Rückhalt fand Benedikt in den eigenen Reihen. Dies dürfte seinem Entschluss zurückzutreten weitere Nahrung gegeben haben.
Und Benedikt heute? Er hält sich zurück, wie es in der Zeit der doppelten Päpste geboten scheint. Er liest viel, wie es heißt, schreibt und betet – eigentlich so, wie er sich seinen Ruhestand immer gewünscht hat. Ein Theologe auf dem Stuhle Petri, das hört sich nach viel Theorie und wenig Volksnähe an, wie sie Papst Franziskus verkörpert. Doch hat Benedikt mit seinen ungezählten Schriften der Kirche einen Boden bereitet, der ihr auf ihrem schwierigen Weg ins dritte Jahrtausend hilfreich sein wird.
Und so könnte das achtjährige Pontifikat Benedikts in seiner Wirkung zu einem der längsten und nachhaltigsten der Kirchengeschichte werden.
Auf seine Leidenschaft des Bücherschreibens wollte Papst Benedikt
nicht verzichten
Leseempfehlung Zum Geburtstag von Papst em. Benedikt XVI. ist eine sehr lesenswerte und von Klaus Hurtz herausgegebene Gedichte-Anthologie erschienen: „Verdichtetes Mysterium“. Ganzleinenband mit Fadenheftung. B. Kühlen-Verlag, 144 Seiten, 24,80 Euro