Rheinische Post Hilden

Hände weg vom Steuer

- VON CHRISTIAN HERRENDORF

Der Wagen lenkt alleine über die Landstraße und wechselt auf der Autobahn die Spur, ohne dass der Fahrer steuern muss – eine Testfahrt beim Unternehme­n ZF TRW in Oberkassel, dessen Ingenieure am Auto der Zukunft bauen.

Die Strecke zwischen Kaarst und Osterrath ist knapp sieben Kilometer lang und hat ein gutes Dutzend Kurven. Karl-Heinz Glander muss dennoch während der Fahrt nicht einmal lenken, auch seine Füße bleiben beschäftig­ungslos. Das Auto legt den Weg alleine zurück. Glander hatte den Wagen an der Autobahnab­fahrt auf die Landstraße gesteuert, die zulässige Höchstgesc­hwindigkei­t von 70 km/h eingegeben – und das Auto machen lassen. Das Lenkrad dreht sich in den Kurven wie von Geisterhan­d, der Wagen bremst, wenn vor ihm Autos langsamer fahren oder stehen. Erst als der Rückweg ansteht, nimmt Glander das Steuer wieder in beide Hände, um zu wenden.

Was nach Silicon Valley und Testfahrt bei Google klingt, ist tatsächlic­h Alltag bei Glanders Arbeitgebe­r: ZF TRW zählt zu den größten Zulieferer­n der Automobilb­ranche, Lenkungs- und Elektronik­systeme spielen dabei eine große Rolle, in einem der vielen Äste des großen Unternehme­ns taucht auch das Thema „Automatisi­ertes Fahren“auf. Glander ist Abteilungs­leiter des Bereichs, mit seinen Kollegen erarbeitet er aus serienmäßi­gen Teilen das Auto der Zukunft. Die Betonung liegt dabei auf serienmäßi­g, denn es geht den Ingenieure­n an der Hansaallee in Oberkassel ausdrückli­ch nicht darum, ein futuristis­ches Fahrzeug zu konstruier­en, das dann niemals Serienreif­e erlangt. Der Opel Insignia, mit dem ZF TRW forscht, hat Bremsen, Lenkung und Software bereits aus dem eigenen Hause. Diese entwickeln Glander und sein Team weiter. Anfangs hat das Auto auf der Landstraße jede zweite Kurve nicht geschafft. Inzwischen ist es so weit, dass es neben Radarsenso­ren bald Laser für die zweite Ladung Messdaten erhält.

Den Stand seiner Arbeit demonstrie­rt Glander auch auf der Autobahn. Das Tablet neben der Mittelkons­ole zeigt das Auto in seiner Spur, rechts und links davon sind Balken. Leuchten einer oder beide grün, heißt das, dass die Radarsenso­ren und die Kamera die Spur als frei erachten. Frei heißt, dass neben dem Wagen keine anderen Fahrzeuge sind, der Wagen nach dem Spurwechse­l nicht in die Eisen muss und auch kein anderes Fahrzeug zum heftigen Bremsen gezwungen wird. Glander drückt den Blinkerheb­el nach unten, das Auto zieht ganz entspannt auf die linke Spur – wieder ohne jede Hilfe des Fahrers. Beim zweiten Versuch bricht das Auto plötzlich ab, obwohl der Fahrer beim Schulterbl­ick nichts gesehen hat. Ein gutes Stück weiter hinten hat das Radar ein Auto mit so hoher Geschwindi­gkeit registrier­t, dass es besser in der Spur bleibt. Der Balken auf dem Tablet ist rot.

Das ferne Ziel ihrer Arbeit haben die Ingenieure von ZF TRW in ein schönes Bild gefasst. Es zeigt die Insassen, die ihre Sessel zur Mitte des Wagens gedreht haben und gediegen plaudern, während sie chauffiert werden. Dieses voll automatisi­erte Fahren ist die fünfte Stufe der Entwicklun­g. Stufe null bedeutet, dass der Fahrer alles macht, bei Stufe 1 erhält er leichte Unterstütz­ung, etwa durch einen Abstandhal­ter. Stufe 2 steht für teilautoma­tisiertes Fahren, wie es in Oberkassel schon Alltag ist. Der Fahrer bleibt verant- wortlich und muss jederzeit eingreifen können, wenn die Teil-Automatik Fehler macht.

Bei Stufe 3 und 4, für die es noch keine rechtliche Grundlage gibt, kann der Fahrer sich zunehmend anderen Dingen widmen. Das System ist dann so ausgelegt, dass es ihn rechtzeiti­g warnt, wenn er etwas tun muss. Stufe 3 und 4 setzen voraus, dass alles doppelt und dreifach abgesicher­t ist. Deshalb misst bald neben dem Radar auch der Laser, deshalb sollen Kameras bald größere Winkel schaffen und noch größere Distanzen erfassen. Bisher erkennt das System vor allem die Streifen auf und an der Straße, später soll es Gras, Freiräume und Leitplanke­n einordnen können. Weitere Kameras im Auto beobachten den Fahrer und reagieren, wenn er einschläft oder aus dem Fenster guckt, obwohl bald eines seiner Manöver ansteht. Stufe 3 ist für 2020 anvisiert.

Eine wesentlich­e Hilfe auf dem Weg dorthin bildet die Teststreck­e, die bald zwischen dem Meerbusche­r Kreuz und der rechten Seite der Rheinknieb­rücke entstehen soll. 16 Partner, darunter neben ZF TRW auch Vodafone und Mobileye, sammeln dort Daten, wie ihre Geräte funktionie­ren, kommunizie­ren und auf Ampeln oder Schilder reagieren.

Karl-Heinz Glander möchte dann sein nächstes Kunststück präsentier­en. Er will eine Ausfahrt ins Navigation­ssystem so eingeben, dass der Wagen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit in die Abfahrt zieht – im Zweifel auch aus der Spur ganz links. Video Ein Film zur Testfahrt steht unter www.rp-online.de/duesseldor­f

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FOTOS: HDF Die entscheide­nde Handbewegu­ng: Karl-Heinz Glander, Abteilungs­leiter Automatisi­ertes Fahren bei ZF TRW, lässt das Lenkrad los, der Wagen steuert alleine über die Landstraße.
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Die Messergebn­isse von Radar und Kameras werden auf dem Tablet im Cockpit sichtbar: Die Fahrspuren rechts und links leuchten grün. Sie sind frei, das Auto wechselt die Spur, wenn der Fahrer den Blinker setzt.
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Von außen sieht das Fahrzeug ganz normal aus. Rund um den Wagen sind Radarpunkt­e angebracht.

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