Eingefleischte Junggesellen bestimmen Indiens Politik
Viele Spitzenpolitiker sind ledig – wenigstens offiziell. Das ist umso erstaunlicher, als es dem gesellschaftlichen Ideal zuwiderläuft.
NEU-DELHI Als der 44-jährige HinduPriester Yogi Adityanath unlängst zum Ministerpräsidenten von Indiens größtem Bundesstaat Uttar Pradesh gemacht wurde, suchten Millionen im Internet nach dem Namen seiner Frau. Fehlanzeige: Der religiöse Hardliner ist unverheiratet. Damit befindet sich Adityanath in illustrer Gesellschaft. Indiens Politik ist voller bekennender Junggesellen.
So ist auch der Ministerpräsident des Bundesstaates Uttarakhand, Trivendra Singh Rawat, unverheiratet. Manohar Lal Khattar, Regierungschef von Haryana, ist ebenso alleinstehend wie Sarbananda So- nowal, der den Bundesstaat Assam regiert, und Naveen Patnaik, der seit 17 Jahren Ministerpräsident im Bundesstaat Odisha ist. Mindestens fünf Frauen haben in Patnaiks Amtszeit behauptet, dessen rechtmäßige Ehefrau zu sein, doch der 70-Jährige besteht auf seinem Status als Single.
Auch Indiens Premierminister Narenda Modi hat keine Frau an seiner Seite. Der Regierungschef des Landes warb jahrzehntelang mit seinem Junggesellen-Image. Er wolle sich ganz auf Indien konzentrieren, behauptete er. In Indiens Politik hat dies eine lange Tradition: Um sich besser seinem politischen Ziel widmen zu können, bekannte sich auch Indiens Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi im Alter von 38 Jahren zur Keuschheit.
Modi freilich sah sich dann doch zu einer Korrektur gezwungen. Im Vorfeld der Parlamentswahl 2014 musste der 66-Jährige zugeben, eine Ehefrau zu haben. Angehörige von Modis innerem Zirkel versicherten sogleich, der Premier sei zwar mit 18 Jahren von seinen Eltern verheiratet worden, aber er habe nie mit seiner Frau zusammengelebt. Richtig ist: Modis Ehefrau Joshodaben, die seit 50 Jahren von ihrem Mann getrennt ist, taucht nie in der Öffentlichkeit auf. Die einzige Frau, mit der Modi sporadisch gesehen wird, ist seine 95-jährige Mutter.
In der Gruppe der SpitzenpolitikJunggesellen sind viele Mitglied der regierenden BJP-Partei. Dass sich ausgerechnet in der konservativen BJP so viele Ledige tummeln, ist auf den ersten Blick erstaunlich, wenn man Indiens Liebe zur Heirat und Ehe kennt. Doch aus der Gruppe der Politiker-Singles gehören fast alle auch der hinduextremistischen Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) an. Rawat, Khattar und Modi sind seit Jugendzeiten in dem paramilitärischen RSS Mitglied. Der männerbündische Verband, der sich als Hüter der Hindu-Kultur sieht und sechs Millionen Mitglieder hat, bevorzugt unverheiratete Führungskräfte.
Das läuft indischen Wertvorstellungen indes völlig zuwider. Die Ehe ist in Indien immer noch das Herzstück der Gesellschaft. Ledig zu sein, ist verpönt – es sei denn, der Verzicht auf die Ehe ist rein religiös motiviert. Mehr als die Hälfte der mehr als 1,2 Milliarden Inder ist verheiratet. Immer noch werden um die 90 Prozent der Ehen von Eltern und Verwandten arrangiert. Homosexuellen, die sich zu ihrer Sexualität bekennen, wird von ihren Familien oft geraten, zu heiraten, um den guten Ruf zu wahren. Homosexuelle Praktiken sind zudem nach Artikel 377 des Strafgesetzbuchs verboten.
Über Sexualität wird in Indien ohnehin nicht gerne offen gesprochen. Daher sind auch die privaten Arrangements der besseren Gesellschaft nur selten ein Thema für die breite Öffentlichkeit. So brüstete sich Indiens dreifacher Regierungschef Atal Bihari Vajpayee gern mit seinem Status als Junggeselle, doch es war ein offenes Geheimnis, dass er mit seiner Jugendliebe Rajkumari Kaul und deren Ehemann in einer Dreiecksbeziehung zusammenlebte. Und dass der frisch gekürte Ministerpräsident und Hindu-Priester Adithyanath in seiner Residenz in Neu-Delhi mit einem von ihm adoptierten, muslimischen Waisenknaben zusammenlebt, löste auch kein Erstaunen aus. Von Empörung ganz zu schweigen.