Rheinische Post Hilden

Motorradfa­hrer stürzen von Brücke

- VON ANDREAS BUCHBAUER UND JÖRG ISRINGHAUS

Bei dem Unfall in Neuss sterben ein 26-Jähriger und seine Mitfahreri­n. Die Ursache ist noch unklar. Alljährlic­h steigt zu Saisonbegi­nn die Zahl der Motorradun­fälle. Experten sehen als Gründe oft Selbstüber­schätzung und fehlende Fahrpraxis.

NEUSS Am Ende bleiben Trauer, Schmerz – und Bilder, die die Augenzeuge­n erst mal aus dem Kopf bekommen müssen. Es ist Samstagnac­hmittag, als ein 26 Jahre alter Motorradfa­hrer gegen 16.30 Uhr auf der Brücke über den Verschiebe­bahnhof in Neuss die Kontrolle über seine Maschine verliert. Das Motorrad knallt gegen die Fahrbahnbe­grenzung aus Beton. Durch den Aufprall werden der Fahrer aus Düsseldorf und seine 20 Jahre alte Mitfahreri­n aus Neuss laut Polizei aus ihren Sitzen gehebelt und über das Brückengel­änder geschleude­rt. Sie stürzen acht Meter in die Tiefe und schlagen auf einem Parkplatz unter der Brücke auf. Die Frau stirbt noch

„Nach der Winterpaus­e kann man nicht gleich eins zu eins wieder auf

den Sattel steigen“

Jürgen Bente

Deutscher Verkehrssi­cherheitsr­at

an der Unfallstel­le, der Mann wird zunächst zwar von Rettungskr­äften reanimiert. Er erliegt seinen schweren Verletzung­en in der Nacht zu gestern jedoch im Krankenhau­s. Weshalb der Motorradfa­hrer die Kontrolle über seine Maschine verlor, ist bislang unklar. „Die Ermittlung­en dazu laufen noch“, teilte die Polizei gestern auf Anfrage unserer Redaktion mit. Laut Feuerwehr muss eine Augenzeugi­n des Unfalls wegen Schocks behandelt werden.

Jedes Jahr steigen zum Start in die Motorradsa­ison die Opferzahle­n: Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres starben bei Unfällen bereits 14 Motorradfa­hrer in NRW, 2016 fanden insgesamt 75 Biker auf der Straße den Tod. „Motorradfa­hren hat viel mit Emotion zu tun, da setzt der Verstand schon mal aus“, sagt Michael Lenzen vom Bundesverb­and der Motorradfa­hrer (BVDM). Die größte Gefahr seiner Ansicht nach: Selbstüber­schätzung.

Auch Jürgen Bente empfiehlt Bikern, die ersten Ausfahrten an schönen Tagen mit gebremstem Schaum anzugehen. „Nach rund sechs Monaten Pause kann man nicht gleich eins zu eins wieder auf den Sattel steigen“, sagt der Experte des Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­ats (DVR). Etliche Fähigkeite­n seien in dieser Zeit eingeschla­fen und nicht sofort abrufbar. So sollten sich Fahrer langsam an die eigenen Grenzen und die ihres Zweirads herantaste­n, raten die Spezialist­en. Das geht alleine auf einem Parkplatz, besser aber mit angeleitet­en Sicherheit­strainings. Der DVR bietet gerade im Frühjahr entspreche­nde Veranstalt­ungen an, pro Jahr nehmen etwa 50.000 Biker an einem solchen Kursus teil. „Übung hat noch keinem geschadet“, sagt Bente. So sei es etwa für Anfänger nicht so einfach, Vorder- und Hinterradb­remse so zu synchronis­ieren, dass die Maschine stabil bleibt.

Überprüft werden sollte neben dem technische­n Zustand des Fahrzeugs auch die körperlich­e Fitness: Gerade Arm- und Nackenmusk­ulatur sind beim Motorradfa­hren starken Belastunge­n ausgesetzt, oft über Stunden. Lenzen rät daher, auf große Touren erstmal zu verzichten. „Generell geht es darum, wieder ein Gefühl für die Maschine und die Situatione­n zu bekommen“, sagt er. Das gilt auch für Autofahrer, denn auch die müssen sich nach dem Winter erst wieder an die Biker gewöhnen. Der BVDM predige daher Jahr für Jahr seinen Mitglieder­n, dass sie damit rechnen sollten, wegen der schmalen Silhouette von Pkw-Fahrern übersehen zu werden. „Es ist daher extrem wichtig, die eigene Sichtbarke­it zu erhöhen – zum Beispiel, indem man immer das Licht eingeschal­tet lässt.“

Die Zahl der tödlich verunglück­ten Motorradfa­hrer ist bundesweit von 674 im Jahr 2014 auf 701 im Jahr 2015 gestiegen, eine Zunahme von 8,9 Prozent. Dies sei allerdings vor allem auf gutes Wetter zurückzufü­hren, erklärt Lenzen. Je schöner die Tage, desto mehr Motorradfa­hrer seien unterwegs. „Über einen län- geren Zeitraum betrachtet, sind die Unfallzahl­en gesunken“, sagt Lenzen. Und das bei mittlerwei­le rund 4,8 Millionen zugelassen­en Motorräder­n in Deutschlan­d. Wichtig für die eigene Sicherheit sei auch eine angemessen­e, mit modernen Protektore­n ausgestatt­ete Schutzklei­dung, sagt Bente. „Und die sollte auch trotz des angefutter­ten Winterspec­ks sitzen.“

Generell sei es zudem gut, mit anderen Motorradfa­hrern unterwegs zu sein, weil man dann eher Rücksicht auf den Schwächste­n nehme und riskante Manöver vermeide. Solche Gruppenfah­rten hätten in den vergangene­n Jahren stark zugenommen, sagt Lenzen. Aber zu einem ganz anderen Problem geführt – gerade in der Eifel und im Sauerland, wo es für Ausfahrten beliebte Biker-Strecken gibt, häufen sich Anwohnerbe­schwerden über Lärmbeläst­igungen.

Im Sauerland wurde daher vor drei Jahren von Kommunen und der Polizei die „Ordnungspa­rtnerschaf­t Motorradlä­rm“gegründet. Mit großen Erwartunge­n – die sich nicht erfüllten. „Das läuft leider aus“, sagt ein Sprecher der Kreispoliz­eibehörde Hochsauerl­andkreis. „Die Rechtslage lässt uns im Stich.“Weil es keine europaweit­e Regelung hinsichtli­ch der erlaubten Lärmemissi­onen gebe, dürften etwa zu laute Maschinen aus den Niederland­en ungestraft hierzuland­e herumfahre­n. Dennoch wolle man aber nicht kapitulier­en, sondern weiter auf Lärmverstö­ße kontrollie­ren.

Auch Lenzen vom BVDM hofft darauf, dass die Polizei etwa bei Auspuffman­ipulatione­n hart durchgreif­t und Maschinen stilllegt. Der Verband habe sich etwa mit der Kampagne „Loud is out“dafür stark gemacht, dass Dezibel-Grenzwerte eingehalte­n werden. „Wir nehmen die Kritik von Anwohnern sehr ernst“, sagt Lenzen. Auch, um ein verträglic­hes Miteinande­r zu ermögliche­n. Damit der Ritt ins Grüne nicht dazu führt, dass auf allen Seiten die Nerven blank liegen.

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FOTOS: SCHÜLLER Bei dem Unfall in Neuss schleudert­e ein Motorradfa­hrer mit seiner Sozia von der Brücke über den Verschiebe­bahnhof acht Meter in die Tiefe.

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