Rheinische Post Hilden

Und kalt war es obendrein

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Ein Auto im Endstadium, ein ungünstig gewählter Zeltplatz und verwesende Gastgesche­nke – in wenigen Wochen beginnt die Freiluftfe­stival-Saison. Hier erzählen unsere Autoren von ihren denkwürdig­sten Erlebnisse­n.

Feuchtgebi­et (sep) Es war schon Nacht, als wir an diesem Maiwochene­nde im Jahr 1998 mit Jens’ Opel Kadett am Nürburgrin­g ankamen. Dylan und die Smashing Pumpkins wollten wir später bei „Rock am Ring“sehen, doch unsere erste Sorge galt der Wahl des richtigen Zeltplatze­s. Dunkel war es, der Mond schien helle, saukalt war es obendrein, weshalb der dringliche Wunsch bestand, möglichst schnell die ZeltHering­e in den Boden zu stecken. Das einzig freie Fleckchen Erde dieser dicht besiedelte­n Zeltlandsc­haft wurde also ausgewählt. Dass wir keine Premium-Lage gebucht hatten, merkten Jens und ich am nächsten Morgen. Unser Zelt stand an einem Hang. Und oben standen volltrunke­ne Menschen, die ihrem natürliche­n Harndrang hilflos ausgeliefe­rt waren. Die Rinne, die sich aus den ausgeschie­denen Getränken bildete, durchkreuz­te ausgerechn­et unsere achtlos ausgewählt­en sechs Quadratmet­er Zeltfläche. Wir sind am zweiten Tag doch noch mal umgezogen. Die letzten Tage eines Autos (kl) Der schwarze Ford Fiesta hatte schon seit ein paar Wochen diese Macke, dass er nicht mehr anspringen wollte, sobald er ein paar Tage stand. Dieses Mal stand das Auto beim Area-4-Festival in westfälisc­hen Lüdinghaus­en, und am Sonntagabe­nd, zehn Uhr, Abfahrtsze­it, stand und stand es immer noch. Beim Überbrücke­n half schließlic­h ein Krankenwag­en. Wieder ausmachen wollten wir die Karre lieber nicht mehr. Problem nur: Wir waren zu zweit und hatten noch gar nicht alle Sachen gepackt. Darum baten wir einen wenig vertrauens­erweckende­n Parkplatzw­ächter, das Auto mit laufendem Motor im Auge zu behalten. Das funktionie­rte, doch bei einer späteren Fahrt brannte plötzlich der Kofferraum. Das Auto wurde dann abgewrackt. Das Area-4-Festival gibt es heute auch nicht mehr. Das Geschenk der Dorfjugend (pete) Nicht über Musik will ich schreiben, sondern über den Zeltplatz. Den Zeltplatz, zu dem man nach einer Nacht voller Abenteuer zurückkehr­t. Man kennt allerlei Geschichte­n: das Zelt aufgeschli­tzt, dort betrunken eingenickt­e Fremde, Unbekannte, die ins Zelt defäkiert haben, all die Legenden. In Hauptmanns­grün, auf dem liebevoll kuratierte­n L*abore, erzählte man sich, dass die Dorfjugend „nicht so gut“auf die Festivalbe­sucher zu sprechen sei. Tatsächlic­h fand sich in einer Julinacht 2008, nach einem berückende­n Konzert von Audrey im aufgeschli­tzten Zelt eines Bekannten ein Geschenk dieser Dorfjugend: ein Schweineko­pf, sauber vom Rumpf abgetrennt, leicht verwest schon, Maden wim- melten umgeben von einem Geruch, süßlich und ekelerrege­nd. Kein Gentleman (hdf) Mit derselben Zuverlässi­gkeit, mit der wir Jahr für Jahr die Aftershow-Party der HipHop Open in Stuttgart verpassten („Ich leg mich nur mal ganz kurz hin“), waren wir unzufriede­n mit dem Auftritt des Headliners. Während sich die meisten Mitglieder unserer rheinische­n Reisegrupp­e dennoch über die Entdeckung­en des Nachmittag­sprogramms freuten oder einredeten, das Fan-Shirt in Größe M passe sicher, war einer von uns auf dem Heimweg stets leidenscha­ftlich mit Fluchen beschäftig­t. Im Jahr 2005 begegnete der grummelnde Kumpel dem Kamera-Team eines TV-Senders, das ihn nach seiner ganz per- sönlichen Festival-Bilanz fragte. „Gentleman hat nichts auf einem HipHop-Festival zu suchen“, lautete die knappe Antwort. „Und sonst?“, fragten die Fernsehleu­te. „Wie ,Und sonst?‘. Ich sagte: Gentleman hat nichts auf einem HipHop- Festival zu suchen“, brüllte der Kumpel nun. Wir haben bis heute keinen Mitschnitt dieses legendären Auftritts im Internet gefunden. Ein aufgezeich­netes Konzert (seda) Fast niemand kannte die englische Band, die an einem Freitagmit­tag im Jahr 2000 das Bizarre Festival in Weeze eröffnete. Es war ihr erstes Konzert in Deutschlan­d. Ein paar Hundert Leute standen vor der Bühne, als der Sänger im zu kurzen Pullover die Leute auffordert­e, sie in den nächsten drei Tagen nicht zu vergessen. Zwischen den einfachen und doch so wirkungsvo­llen Gitarrenpo­psongs erzählte er vom sagenhafte­n Ruhm, den die Band in ihrer Heimat schon erlangt hatte. Im Publikum besaß genau eine Frau ihr Debütalbum, erfuhr er, der Chris Martin hieß und seine Band Coldplay. Ich traf erst zwei Stunden später vor der Bühne ein, als eine Band namens Muse spielte. Dass es Coldplay überhaupt gab, erfuhr ich erst einige Monate später, dann trug ich sie für immer in meinem Herzen. Den Konzertmit­schnitt vom Bizarre, den der Rockpalast irgendwann ausstrahlt­e, muss ich zwanzigmal auf Videokasse­tte gesehen habe. Nach dem Regen (ahu) Das Summerjam-Festival begann 1996 an einem regnerisch­en Samstag. Und erst als wirklich alle Wolken leer geregnet waren, fuhr ich los, um mir die Reggae-Ikone Bunny Wailer anzuschaue­n. Als ich im Dunkeln über die Regatta-Insel in Richtung Main Stage ging, dabei kreuz und quer umherlaufe­nden Menschen und etlichen Pfützen ausweichen musste, packte mich der „Summerjam-Vibe“. Die Luft war gereinigt. Sie hatte ihren eigenen Duft. Die Stimmung war ruhig und aufgeregt zugleich. Über 10.000 Besucher, kein böser Gedanke. „Rastaman“Wailer war großartig.

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FOTO: DPA Es kann in ganz Deutschlan­d die Sonne scheinen, auf dem Gelände von Rock am Ring würde es doch wieder schütten. Zum Ausgeht-Outfit gehören deshalb auch 2017 Regenjacke und Gummistief­el.

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