Rheinische Post Hilden

Berlin will länger Grenzkontr­ollen

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die EU-Kommission hat die Überprüfun­gen an der Grenze zu Österreich ein letztes Mal für sechs Monate erlaubt. Danach sollen sie entfallen. Das halten führende Unionspoli­tiker für unrealisti­sch.

BERLIN Bundesregi­erung und EUKommissi­on steuern auf einen Streit über die Aufhebung der Grenzkontr­ollen zu. Brüssel hat die Kontrollen letztmals für weitere sechs Monate erlaubt, forderte Deutschlan­d, Österreich und drei weitere Schengen-Länder jedoch gleichzeit­ig auf, die Kontrollen schrittwei­se zu beenden. Deutschlan­d wies die Forderung gestern zurück. Ob in sechs Monaten ein Verzicht auf Grenzkontr­ollen verantwort­bar sei, „das lässt sich heute wirklich nicht belastbar sagen“, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums. Die Wiederhers­tellung des Schengen-Raums hänge von der Sicherung der EU-Außengrenz­en ab. Man sei der Überzeugun­g, dass „ein Verzicht auf die derzeit durchgefüh­rten Grenzkontr­ollen nicht infrage kommt“, sagte der Sprecher.

Führende Unionspoli­tiker gingen noch weiter. „Auf Binnengren­zkontrolle­n können wir erst verzichten, wenn die EU-Außengrenz­en gesichert sind und das Dublin-Verfahren für Flüchtling­e wieder funktionie­rt“, sagte Günter Krings (CDU), Staatssekr­etär im Bundesinne­nmi- nisterium. „Stand heute können wir kein Enddatum für die Grenzkontr­ollen nennen“, erklärte der CDUInnenpo­litiker Wolfgang Bosbach.

Deutschlan­d hatte die Kontrollen durch die Bundespoli­zei, die nach den Regeln des von 26 europäisch­en Ländern gebildeten SchengenRa­ums eigentlich der Vergangenh­eit angehören sollten, nach Beginn der Flüchtling­skrise an der Grenze zu Österreich im September 2015 eingeführt. EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os sagte dazu: „Die Zeit ist gekommen, schrittwei­se zu einem voll funktionsf­ähigen Schengen-Raum zurückzuke­hren.“

Er glaube nicht, dass innerhalb von nur sechs Monaten die Sicherung der EU-Außengrenz­en funktionie­ren werde, sagte dagegen CDU-Politiker Krings. Für eine weitere Verlängeru­ng der Grenzkontr­ollen ab November gebe es „noch andere Möglichkei­ten auch im Schengen-Recht, etwa zum Schutz der nationalen Sicherheit“. Ein Argument dafür wäre etwa der Hinweis auf Terrorismu­sabwehr. Auch Bosbach, Innenexper­te im Team des CDU-Spitzenkan­didaten Armin Laschet für die NRW-Wahl, sieht die EU weit von einer Migrations­steuerung entfernt. „Die EU-Außengrenz­en waren für irreguläre Migration nie durchlässi­ger als heute. Der Zuwanderun­gsdruck in die EU hält unverminde­rt an“, sagte er.

Italien sei zur Achillesfe­rse der EU geworden, sagte der Chef des Bundestags­innenaussc­husses, Ansgar Heveling (CDU). „Dort ist nicht absehbar, dass weniger Migranten in die EU kommen. Eher ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Flüchtling­e auf der Mittelmeer­route im Sommer noch stärker zunehmen wird“, so Heveling. „Wir brauchen die Option, die Grenzkontr­ollen auch über das Jahresende hinaus aufrechtzu­erhalten.“EU-Angaben zufolge ist die Zahl irreguläre­r Migranten in Griechenla­nd seit dem EU-Türkei-Abkommen um 97 Prozent gesunken. Zugleich wuchs aber seit Jahresbegi­nn die Zahl der in Italien ankommende­n Migranten um 45 Prozent auf knapp 40.000.

Auch die SPD befürworte­te die Fortsetzun­g der Grenzkontr­ollen, plädierte jedoch für deren Ende im November. Es sei zwar „völlig richtig, dass wir weiter befristet Kontrollen an den Grenzen in Bayern und Baden-Württember­g durchführe­n“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Eva Högl. „Die EU-Kommission weist aber zu Recht darauf hin, dass dies nur eine befristete Maßnahme sein kann.“Auch die Grünen sind für die schrittwei­se Aufhebung der Kontrollen. „Die illegalen Grenzübers­chritte seit 2015 sind deutlich zurückgega­ngen. Eine schrittwei­se Aufhebung der Grenzkontr­ollen, wie sie die EU-Kommission vorschlägt, ist daher gut begründet und sinnvoll“, sagte Grünen-Politiker Konstantin von Notz.

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