Demokraten, vereinigt euch!
Nach Hillary Clintons Niederlage muss sich die Demokratische Partei in Einigkeit an die Spitze der Anti-Trump-Bewegung stellen. Das Anwachsen der Latino-Minderheit in den USA könnte den Demokraten dabei helfen.
Niemand hätte erwartet, dass eine eher zweitrangige Nachwahl zum US-Kongress bundesweite Aufmerksamkeit erlangen würde. Zumal der Wahlkreis in den Vororten von Atlanta mit rund 700.000 Wahlberechtigten – fast drei Viertel davon Weiße – seit vier Jahrzehnten eine republikanische Hochburg ist. Der letzte demokratische Abgeordnete war in den 70er Jahren John James Flynt Junior, der noch dem inzwischen ausgestorbenen Parteiflügel angehörte, der die Rassentrennung befürwortete.
Doch nach der Beförderung des bisherigen Abgeordneten Tom Price zum USGesundheitsminister standen am 18. April Nachwahlen an. Und nach dem Sieg des fortschrittlichen 30jährigen Joe Ossoff in der ersten Runde scheint nun das Undenkbare in Reichweite: ein Sieg bei den Stichwahlen am 20. Juni. Ossoff sammelte sensationelle 8,3 Millionen Dollar Wahlkampfspenden und steht an der Spitze der AntiTrump-Bewegung.
In Joe Ossoffs überraschender Popularität spiegeln sich die Hoffnungen der Demokratischen Partei, die nach einer knappen, aber umso schmerzhafteren Wahlniederlage im November versucht, die verschiedenen Parteiflügel sowie die große Anzahl der Aktivisten im Widerstandslager gegen die neue Regierung zu einen. Das ist keine leichte Aufgabe. Die parteiinternen Vorwahlen, die Hillary Clinton nach dem unerwarteten Erfolg des unabhängigen Senators Bernie Sanders aus Vermont nur mit Mühe für sich entscheiden konnte, haben tiefe Verwerfungen im linken Lager hinterlassen. Besonders die von russischen Hackern gestohlenen und bei Wikileaks wahllos veröffentlichten EMails der demokratischen Parteiführung lösten viel Ärger aus.
Zwar sollte die Tatsache, dass etablierte Parteiführer dem Außenseiter Bernie Sanders mit Skepsis begegneten, nicht überraschen, aber die Publikation der gestohlenen E-Mails zwangen die damalige Parteivorsitzende Debbie Wassermann Schultz unmittelbar vor dem demokratischen Parteitag im Sommer 2016 zum Rücktritt. Doch wurde dadurch ein Neuanfang in der Parteiführung möglich, der unter anderen Umständen noch lange gedauert hätte.
Hier zeigten sich erneut die parteiinternen Spaltungen des Vorwahlkampfs: Das demokratische Establishment und wichtige Minderheiten-Vertreter favorisierten Tom Perez, Arbeitsminister im Kabinett von Barack Obama. Der ehemalige Bürgerrechtsanwalt, ein Kind dominikanischer Einwanderer, siegte knapp gegen den von Sanders-Aktivisten unterstützten Keith Ellison, einen schwarzen Kongressabgeordneten aus Minneapolis, der 2007 als erster Muslim in der Geschichte der USA in den Kongress gewählt wurde.
Um die Wogen zu glätten, berief Tom Perez in seiner ersten Amtshandlung als Parteivorsitzender den Konkurrenten zum Stellvertreter. In den vergangenen Wochen sind Perez und Ellison in demonstrativer Einigkeit im ganzen Land unterwegs, um demokratische Aktivisten zu mobilisieren und den Parteiflügeln klarzumachen, dass nur gemeinsames Handeln gegen Trump erfolgversprechend ist, um notwendige Finanzmittel für die bevorstehenden Zwischenwahlen einzuwerben.
Die Nachwahl in Georgia ist nur ein Vorspiel für die Zwischenwahlen im November 2018. Sie sind der erste echte Test der Demokraten nach der Wahl Trumps. Alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses stehen zur Wiederwahl sowie 34 der 100 Senatoren; dazu kommen 36 Gouverneurswahlen, die meisten in konservativen Bundesstaaten. Im Senat, wo die Republikaner bereits über eine knappe Mehrheit verfügen, müssen die Demokraten 23 Sitze verteidigen, zwölf davon in Bundesstaaten, die Donald Trump gewann – also keine guten Aussichten für eine Mehrheit.
Im Abgeordnetenhaus dagegen haben die Republikaner eine Mehrheit von nur etwas mehr als 40 Sitzen. Die Zwischenwahlen zwei Jahre nach der Wahl eines neuen Präsidenten bringen traditionell eine Kurskorrektur und bieten der Opposition die Chance, aus den Fehlern der Regierung Kapital zu schlagen. Die demokratische Parteiführung um Tom Perez und Keith Ellison hofft darauf, dass die strukturelle Stärke der Partei sich positiv auswirken wird.
Bei den Präsidenten-Wahlen 2016 gewannen die Demokraten 2,9 Millionen mehr Stimmen als die Republikaner, ein Vorsprung von 2,1 Prozentpunkten. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts auf Staatsebene gewann aber Trump die Mehrzahl der Stimmen im Kollegium der Wahlmänner. Dennoch ist die Ausgangssituation der Demokraten nicht so schlecht wie auf den ersten Blick. Doch wird eine massive Wählermobilisierung notwendig sein, um das Abgeordnetenhaus zu gewinnen – in den Zwischenwahlen sind die Wähler in der Regel deutlich älter, weißer und konser- vativer als bei Präsidentschaftswahlen. Gerade junge Wähler und Minderheiten lassen sich nur schwer an einem Arbeitstag an die Wahlurne bringen, wenn es nicht um das Präsidentenamt geht.
Sollte es den Demokraten gelingen, die Regenbogenkoalition Obamas zusammenzuhalten, sind die Aussichten für die Zukunft nicht schlecht. Die Aufgabe ist nicht einfach, in einem Land kontinentaler Ausdehnung mit 50 Landesparteien muss eine ungemein komplexe Koalition halten: aus Latino-Unterschichten, Schwarzen in metropolitanen Zentren, aber auch ländlichen Regionen, weißen Mittelschichten aus den Vororten und – die vielleicht größte Herausforderung – weißen ländlichen Unterschichten, die traditionell demokratisch wählten, aber in den vergangenen Jahren vermehrt ins rechte und rechtsextreme Lager abgedriftet sind.
Die anhaltenden demografischen Veränderungen der US-Gesellschaft sind eine große Herausforderung. Das Anwachsen der Latino-Minderheit ist die dramatischste Veränderung: Bereits jetzt sind die USA mit 55 Millionen Hispanics das zweitgrößte spanischsprechende Land der Welt nach Mexiko. Diese Zahl wird sich bis 2050 auf 110 Millionen verdoppeln, mit einem Durchschnittsalter von unter 31 Jahren. Zum Vergleich: Deutschland wird 2050 noch rund 69 Millionen Einwohner haben, Durchschnittsalter 50 Jahre und knapp 40 Prozent im Ruhestand.
Diese Veränderungen spielten auch Joe Ossoff in der ersten Nachwahlrunde in Georgia in die Hand. In seinem Wahlbezirk machen die stärker den Demokraten zugewandten Latinos mehr als 13 Prozent der Bevölkerung aus – vier Prozent mehr als 2014. Dieser Wahlkreis, den Mitt Romney 2012 mit mehr als 23 Prozent Vorsprung gewinnen konnte, verdeutlicht die sozialen und kulturellen Veränderungen, die bis in den tiefen Süden des Landes reichen.
Die Nachwahlen gewähren einen ersten Einblick, wie weit die Konsolidierung der demokratischen Partei fortgeschritten ist, und wie viel politischen Schaden Donald Trump in der republikanischen Partei angerichtet hat.
Es sollte den Demokraten gelingen,
Obamas Regenbogenkoalition zusammenzuhalten