Rheinische Post Hilden

Neue Vielfalt auf dem Grill

- VON ANJA MIA NEUMANN

Für Traditiona­listen ist klar: Auf den Rost gehören Steaks und Würstchen. Doch Veganer, Superfood-Fans und die seltenen Anhänger der Steinzeit-Ernährung stehen darauf gar nicht.

Spätestens, seit die Suchanfrag­e „Veganes Grillen“im Netz nicht nur zu Tierschutz-Organisati­onen, sondern auch zu einem großen Lebensmitt­el-Discounter und jeder Menge Rezepten führt, weiß man: Das klassische Stück Fleisch auf dem Grill ist längst nicht mehr das Nonplusult­ra. Auf Grillparty­s müssen sich WürstchenL­iebhaber den Rost mit immer mehr Menschen teilen, die sich für eine andere Ernährung entschiede­n haben. Das hat Chaos-Potenzial.

Denn längst haben es die Fleisch-Esser nicht mehr nur mit Vegetarier­n zu tun. Rund 900.000 Veganer gebe es bereits in Deutschlan­d, schätzt der Vegetarier­bund Deutschlan­d (Vebu). Sie meiden alle tierischen Lebensmitt­el, komplett. Da ist natürlich auch der Feta-Käse in der Aluschale tabu. Paleo-Anhänger dagegen – rund 100.000 könnten es laut deren Ernährungs­guru Nico Richter in Deutschlan­d geben – wollen zwar gern ein saftiges Stück Fleisch auf dem Grill. Ganz in Erinnerung an die Steinzeit. Aber bei allem Verarbeite­ten, wozu auch Bratwürste zählen, hört ihre Liebe auf. Und um die Verwirrung für die Grillmeist­er komplett zu machen: bei Milchprodu­kten auch. „Unsere Ernährung basiert im Grunde auf Nahrungsmi­tteln, die schon ewig da sind“, sagt Richter, dessen PaleoKochb­uch samt 30-Tage-Ohne-Challenge in der Szene als Bibel gilt. „Alles, was man nicht hätte jagen oder sammeln können, ist tabu.“

Paleo-Anhänger streichen Getreide und Milch sowie stark verarbeite­te Lebensmitt­el von ihrem Essensplan. Ein Pitabrot auf dem Grill oder eine durchgedre­hte Wurst passen dazu nicht. „Da kommen ein gutes Stück Fleisch vom Metzger und Gemüse mit Olivenöl, Salz und Pfeffer in Frage.“

Alternativ­e Grillprodu­kte, die für Paleo-Esser wegfallen, entdeckt die Industrie zunehmend für sich: In langer Tüftelarbe­it entstehen in Laboren künstlich hergestell­te Lebensmitt­el. Allen voran die vegane Wurst. Hersteller werben mit „saftigem Steak, feinstem Hack, kernigen Bratwürste­n und zartem Schnitzel“aus Soja oder Weizen, dafür mit Aromen und Säureregul­atoren.

Außerdem gibt es die veganen Klassiker für den Grill: „Maiskolben und Kartoffeln gehen immer“, sagt Tim Schmelt, der in seinem Blog über veganes Leben und Superfoods schreibt. „Das ist aber eher eine langweilig­e Option.“Der 17-Jährige schwört stattdesse­n auf Bohnen- Burger mit Rote Bete oder auf Kirchererb­sen als Grundlage für vegane Hamburger für den Rost.

Superfoods sollen laut Marketing besonders gesunde Lebensmitt­el sein. Kritiker dagegen finden Chia oder Goji wenig nützlich und dafür umso teurer. Auf der Grillparty eignen sie sich eher als Beilage, wie Schmelt meint: als geschälte Hanf-Samen im Dressing oder Goji-Beeren im Salat etwa. Verständig­ungsproble­me sind – vorsichtig formuliert – bei diesen verschiede­nen Weltanscha­uungen in Sachen Ernährung programmie­rt. Viele Grill-Gastgeber fragen schon bei der Einladung nach Tabu-Lebensmitt­eln. Zumal Veganer nicht mit Fleisch können, PaleoEsser dagegen nicht mit Brot, dafür aber mit Fisch – und beide nicht mit Käse. Von Lebensmitt­elallergie­n ganz zu schweigen.

Zumindest Tim Schmelt gibt sich versöhnlic­h: Gern habe er die Nähe zum Fleisch zwar nicht, „aber solange meine Wurst nicht auf einem Steak liegt, ist das okay“, meint der Veganer. „Mit einem Krümel Brot auf meinem Essen habe ich kein Problem“, meint Paleo-Esser Richter.

Komplett raus beim Grillen sind die Rohköstler. Ihr Raw-Essen – das für sie die natürlichs­te Ernährung überhaupt ist – darf nicht über 42 Grad erhitzt werden.

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