Rheinische Post Hilden

In der Niederlage Größe zeigen

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Eine Unsitte war es früher, wenn gewählte und abgewählte Politiker sich vor laufenden Kameras erst einmal für die Stimmen der Wähler bedankten. Selbstvers­tändlich gibt es immer viele Bürger, die aus Überzeugun­g ihr Kreuz rechts oder links beziehungs­weise auf dem Wahlzettel oben oder unten machen. Viele aber wählen jene Partei, die aus ihrer Sicht das kleinste Übel darstellt. Diese Wähler wollen keinen Dank, sondern tatkräftig­e Politiker, die sich ihrer Stimme als würdig erweisen. Zum Glück ist die Danksagere­i auch dank der unermüdlic­hen Interventi­onen der TV-Moderatore­n aus der Mode gekommen.

Überhaupt wird inzwischen im Umgang mit Wahlergebn­issen mehr Ehrlichkei­t an den Tag gelegt. Während es früher Teil des Rituals war, Wahlnieder­lagen in Siege umzudeuten, räumen die Wahlverlie­rer heute in der Regel ihre Schmach tatsäch-

Politische Niederlage­n werden bei uns inzwischen als solche auch von den Betroffene­n selbst so benannt. Das ist ein erfreulich­er Kulturwand­el.

lich ein. Die SPD hat in dieser Frage eine gewisse Routine entwickelt. Dennoch gehört auch Größe dazu, vor laufenden Kameras zuzugeben, die eigenen Ziele verfehlt zu haben. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz und die abgewählte NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft verdienten sich am Sonntagabe­nd zumindest noch exzellente Haltungsno­ten. Krafts rascher und schneller Rückzug von den Ämtern dürfte dazu beigetrage­n haben, den Schaden für die SPD zumindest ein wenig zu begrenzen.

Ganz anders Gerhard Schröder 2005 am Abend der Bundestags­wahl, als er mit geschwolle­nem Kamm in der TV-Runde saß und Merkels Anspruch aufs Kanzleramt schlicht nicht gelten lassen wollte. Auch in Merkels eigener Partei fanden damals viele, dass sie es angesichts der komfortabl­en Ausgangsla­ge ziemlich versemmelt hatte. Doch nach Schröders Auftritt schlossen sich die Reihen, und Merkel ist immer noch Kanzlerin.

Dass die Tradition der Schönreder­ei von Wahlergebn­issen weitgehend ausgestorb­en ist, liegt auch an den heute rascher wechselnde­n Stimmungen. Während Politiker ihre Ergebnisse früher aufhübscht­en, um auf lange Sicht gut dazustehen, hat dies heute kaum noch Sinn. Etwa ein Drittel der Wähler entscheide­t sich erst kurz vor der Wahl. Wäre Schulz nur zwei oder drei Wochen später nominiert worden, hätte der von ihm ausgelöste Hype für den Wahlsieg in NRW möglicherw­eise noch ausgereich­t. Aus dieser Erkenntnis heraus verkneifen sich Wahlsieger heute auch übermäßige­s Triumphgeh­eul und eine überlegene Haltung. Sie wissen, dass die Zustimmung für sie in wenigen Wochen wie Eis in der Sonne schmelzen kann.

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