Rheinische Post Hilden

Generation Selfie

- VON ANNETTE BOSETTI

„Maßlos schön“heißt das neue Stück der Bürgerbühn­e. Das Thema entspringt unserer Zeit. Das Smartphone ist eine feste Größe.

Viele leere Plätze gab es im Kleinen Haus des Central bei der jüngsten Uraufführu­ng der Bürgerbühn­e. Am Tag vor der vielleicht spektakulä­rsten Premiere der Spielzeit, dem „Sandmann“am Gustaf-Gründgens-Platz, schenkten die treuen Abonnenten diesem neuen Ableger der Schulz’schen Theaterarb­eit wenig Aufmerksam­keit. Eigentlich schade! Denn verdient hätte es die Aufführung, die von einem Laienensem­ble unter Regisseuri­n Suna Gürler erarbeitet wird und dann recht profession­ell auf die Bühne kommt. Publikumsa­nsprache

eines Darsteller­s

„Maßlos schön“heißt das Stück der Bürgerbühn­e, und es berührt ein Thema dieser Zeit, das aktueller nicht sein könnte. Es schwappt mitten aus der Gesellscha­ft hoch: die Selfie-Manie mit Smartphone­s, die Kommentar-Spalte und das Mobbing in den digitalen Medien mit oft katastroph­alen psychische­n Folgen, die übertriebe­ne Eitelkeit dieser Generation mit immer neuen Maximen und hoher Bereitscha­ft zu scharf geschnitte­nen Körperkorr­ekturen. Am Ende dieses ganzen grausamen Schönheits­wahns steht die überhandne­hmende Verzweiflu­ng vieler Jugendlich­er.

Doch das Erregungsp­otenzial einer der offenbar wichtigste­n Eigenschaf­ten geht auch an der älteren Generation nicht vorbei. Denn jeder weiß: Schöne haben es im Leben leichter. Doch was ist schon schön, und wer gilt heute als schön? Selbst wer schön ist, findet sich oft nicht schön. Es ist eine vertrackte Angelegenh­eit, die von neun Menschen mit sehr unterschie­dlichen Biografien erzählt und bewertet wird.

Die Klammer bildet das Laufen, zu blubbernde­n Beats machen die Darsteller sich anfangs erst einmal warm – fast so wie auf dem richtigen Laufsteg. Nur dieser hier ist nicht gekünstelt, nicht mondän. Die Damen und Herren sind gekleidet wie samstagsmo­rgens, wenn sie in den Supermarkt ziehen, um einzukaufe­n. Vielerlei Spiele folgen sodann, Interviews, Selbstbefr­agungen, auch Inszenieru­ngen von Fratzen.

Da müssen Gefühle raus – selbst das Publikum wird beschimpft, „Wir haben erwartet, dass heute nur schöne Menschen kommen“, sagt einer und weist auf die Zuschauer. Betroffenh­eit wird jedenfalls hergestell­t. Das Smartphone spielt eine große Rolle dabei: Selfies werden an die Wand geworfen, per Photoshop korrigiert. Im Strobolich­t windet sich die Gruppe, eine tiefe Stimme erklingt dazu: „Ich habe der Welt nicht versproche­n, schön zu sein.“

Schön findet sich niemand, so viel ist klar, doch jeder erklärt und positionie­rt sich dazu: Tim Sassen, 22, Joe Michaels, 67, Hilke Kluth, alterslos, Jonas Kemper, 27,Tamara Hoppe, 19, Alberto di Giorgi, 27, Viktoria Gershevska­ya, alterslos, Ulrike Boldt, 45, und Lia – süße zehn Jahre alt. Das Mädchen bringt Natürlichk­eit ins Spiel mit seinen Interviews und Späßen. Hochbegabt ist es, aus ihm wird sicherlich mal eine gute Schauspiel­erin. Ähnlich hohe Bega-

„Wir haben erwartet, dass heute nur schöne Menschen kommen“

bung kann man Tamara Hoppe nachsagen und Alberto di Giorgi, der dazu grandios tanzt.

Doch darum geht es nicht. Am Ende bewegen sie sich alle wieder auf ihrem Laufsteg – eine heterogene Selbsthilf­egruppe, ein bunt gemischter Ausschnitt der Gesellscha­ft. Das Schönste am Stück: Es hat Wahrhaftig­keit. Und ist unbedingt empfehlens­wert.

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