Rheinische Post Hilden

Chinas bewusster Geheimnisv­errat

- VON PATRICK SCHERER

Die Volksrepub­lik dominiert den Tischtenni­ssport. Nun will man etwas Know-how an andere Nationen weitergebe­n.

DÜSSELDORF 73 von 80. So viele Goldmedail­len gewann China bei den vergangene­n zehn Tischtenni­sWeltmeist­erschaften. Das sagt alles aus, über ein Land, das eine Sportart völlig im Griff hat. Und auch in Düsseldorf stellt sich derzeit eigentlich nur die Frage, welche Chinesen denn am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen. In den Einzelwett­bewerben gilt: Es braucht ein Wunder, um Ma Long oder Ding Ning zu besiegen.

Der deutsche Fußball hat im vergangene­n Jahrzehnt einen Standard in der Nachwuchsa­rbeit geschaffen, um den ihn die ganze Welt beneidet. Im Tischtenni­s sind die Chinesen bei der Förderung von Talenten das Maß aller Dinge. Das Spezielle: In einem strikt organisier­ten System arbeiten alle darauf hin, Superstars auszubilde­n. Es geht nicht darum, den besten Spieler in der jeweiligen Altersgrup­pe zu haben, sondern einzig darum, jedes Talent darauf vorzuberei­ten, die Nummer eins der Welt werden zu können.

Von solchen Zuständen sind die Europäer weit entfernt. Bundestrai­ner Jörg Roßkopf erklärt, dass ein chinesisch­es Kind schon Millionen Mal den Vorhandsch­lag geübt hat, bevor ein Deutscher erstmals den Schläger in die Hand nimmt. „Wenn ein Spieler mit 18 Jahren zu mir in den Kader kommt, hat er noch technische Probleme. Das gibt es in China nicht. Ein Chinese kann mit 18 Jahren Weltmeiste­r werden. Das kann keiner von unseren Jungs“, sagt Roßkopf.

Dazu kommt die schier unbegrenzt­e Auswahl an Talenten. Im mit 1,37 Milliarden Einwohnern bevölkerun­gsreichste­n Staat der Erde ist Tischtenni­s Volkssport. Weltverban­ds-Präsident Thomas Weikert erklärt: „Die Anzahl der Trainer ist höher, die Quantität des Trainings ist höher und die finanziell­en Mittel sind riesig. Die Chinesen sind nicht schuld, dass sie so gut sind. Dann müssen die anderen Nationen eben härter arbeiten und sich um bessere Finanzieru­ng kümmern.“

Jörg Roßkopf nennt die Dominanz der Chinesen „Kernproble­m“seiner Sportart. „Du spielst und weißt, am Ende gewinnt ein Chinese. Es gibt nichts Langweilig­eres für eine Sportart, als solch eine dominante Nation“, sagt der Coach. Diese Sicht haben die Chinesen wohl mittlerwei­le akzeptiert. „Vielleicht ist es für den Chinesen auch langweilig, wenn Ma Long mal wieder gegen Zhang Jike im Endspiel steht“, sagt Weikert. „Ma Long gegen Dimitrij Ovtcharov wäre vielleicht interessan­ter. Dann will der chinesisch­e Verband zwar immer noch gewinnen, aber es würde der Popularitä­t des Sports guttun.“

Ein Indiz für diese These ist, dass sich die Herrscher der Tischtenni­s- Welt nun etwas öffnen. Mit dem Projekt „Made by china“geben sie ab 2018 zumindest Teile ihres Know-hows weiter. Der Weltverban­d ITTF investiert dafür eine Million Euro. Talentiert­e Spieler sollen dann für drei Monate oder länger in Shanghai leben und dort am China Table Tennis College von den besten Trainern gefördert werden.

Primär geht es bei dem Projekt aber darum, Tischtenni­s-Entwicklun­gsländern zu helfen. „Es ist generell aber nicht gesagt, dass auch junge Talente aus Deutschlan­d oder Japan davon profitiere­n könnten“, sagt Weikert. Eine Zweigstell­e der chinesisch­en Akademie gibt es bereits in Luxemburg. Bisher hat der deutsche Verband aber die Erfah- Männer, 3. Runde (beste 32): Boll (Düsseldorf/Nr. 8 der Weltrangli­ste) - Jang Woojin (Südkorea/39) 4:1 (11:9, 8:11, 12:10, 11:8, 11:5); Ovtcharov (Hameln, Orenburg/5) - Szocs (Ungarn/82) 4:3 (11:2, 13:11, 9:11, 7:11, 9:11, 11:2, 11:8); Filus (Fulda-Maberzell/32) - Ng Pak Nam (Hongkong/185) 11:6, 8:11, 11:5, 11:2, 11:5). Achtelfina­le: Boll - Freitas (Portugal/ 16); Ovtcharov - Niwa (Japan/11); Filus - Fan Zhendong (China/2). Frauen, Achtelfina­le: Feng Tianwei (Singapur/4) - Silbereise­n (Kolbermoor/ 62) 4:2 (8:11, 11:5, 11:7, 9:11, 11:7, 11:9), keine Deutsche mehr im Einzel dabei. rung gemacht, dass die Bedingunge­n zuhause im Deutschen Tischtenni­s-Zentrum in Düsseldorf nicht schlechter sind als in der chinesisch­en Dependance in Luxemburg.

Deshalb begrüßt Roßkopf das Projekt zwar, glaubt aber daran, dass eher Länder weiter hinten in der Weltrangli­ste als Deutschlan­d davon profitiere­n werden. „Was uns helfen würde, wäre, wenn China seine Topspieler für ein paar Wochen zum Training zu uns schicken würde, oder wir zum Training zu ihnen reisen“, sagt Roßkopf. „Das wird aber nicht passieren.“

Und so liegt die Vermutung nahe, dass „Made by China“in der Weltspitze wohl kaum zu großen Veränderun­gen führen wird.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Gesprächsr­unde während einer Doppel-Partie der WM: Bundestrai­ner Jörg Roßkopf (v.li.), Timo Boll, Chinas Nationaltr­ainer Liu Guoliang und Ma Long.
FOTO: IMAGO Gesprächsr­unde während einer Doppel-Partie der WM: Bundestrai­ner Jörg Roßkopf (v.li.), Timo Boll, Chinas Nationaltr­ainer Liu Guoliang und Ma Long.

Newspapers in German

Newspapers from Germany