Rheinische Post Hilden

Schwerer Stand für May

- VON GODEHARD UHLEMANN

Während des Wahlkampfs hatte sich die britische Premiermin­isterin vor allem auf die Brexit-Thematik eingeschos­sen. Ins Hintertref­fen gerieten all die Sozialthem­en und die Angst vieler Bürger, Verlierer der Globalisie­rung zu werden.

LONDON Theresa May (60) ist eine erstaunlic­he Frau. Ist sie emotionslo­s, ehrgeizig und unsensibel? Agiert sie in einer männerdomi­nierten Politikwel­t wie diese, rücksichts­los und machtgieri­g? Die britische Regierungs­chefin tritt am Tag nach der Wahl durch die schwarze Tür ihres Amtssitzes 10 Downing Street ins Freie und sagt: „Nur die Konservati­ven und die DUP (nordirisch­e Konservati­ve) haben die Fähigkeit und den Auftrag, dem Land dringend notwendige Stabilität zu geben“. Das ist kühn.

May kam von einem eiligen Besuch bei Königin Elizabeth II., die sie um die formelle Erlaubnis zur Regierungs­bildung aufgesucht hatte. Und sie verkündet anschließe­nd, ihre künftige Regierung werde Großbritan­nien durch die Verhandlun­gen über den Austritt des Landes aus der Europäisch­en Union führen. Das alles hört sich nach politische­r Normalität an, doch es sind Worte, die nach einem politische­n Erdbeben tapfer klingen und Zuversicht signalisie­ren sollen. Es erinnert an Kinder, die singend durch den dunklen Wald wandern, um die Angst zu bannen. Überzeugen­d ist Mays Auftritt nicht. Der Wahltag war für sie eine Katastroph­e. Theresa May ist am bisherigen Tiefpunkt ihres politische­n Lebens

angekom- men. Sie hat gezockt und verloren. Nach dem missglückt­en Brexit-Referendum vor gut einem Jahr war der damalige Regierungs­chef David Cameron zurückgetr­eten. Seine damalige Innenminis­terin May war ihm im Amt gefolgt. Sie hatte die undankbare Bewältigun­g des Austritts übernommen. Sie, die ihn nie wollte, mauserte sich zum Hardliner mit den Worten „Brexit bleibt Brexit“. Sie suchte gar die Konfrontat­ion mit der EU, indem sie ihr zurief „besser keine Einigung als eine schlechte“. May malte den harten Brexit an die Wand, Großbritan­nien werde dann als freies Land weltweit eine bedeutende­re Rolle spielen können, befreit von den Fesseln einer EU-Mitgliedsc­haft.

Im Rausche ihrer Freiheitsv­isionen setzte sie ohne Not vorgezogen­e Neuwahlen an. Die Meinungsum­fragen sagten ihr einen Kantersieg voraus. Sie wollte ein starkes und glaubwürdi­ges Mandat der Bürger für die Verhandlun­gen und sprach von einem Zuwachs von mindestens 100 Unterhauss­itzen. Und nun? Welch ein Abstieg. Ihr Ruf als realitätso­rientierte Politikeri­n ist dahin, ihre innerparte­iliche Autorität ist untergrabe­n. Das Wahlergebn­is lässt sich auch als Misstrauen­svotum gegen die Frau an der Regierungs­spitze interpreti­eren. Am 19. Juni sollen in Brüssel die Austrittsg­espräche beginnen. Am Zeitplan will May trotzig fest

halten. Nun muss die Pfarrersto­chter geschwächt in die Austrittsv­erhandlung­en gehen. Sie mag über genügend Gottvertra­uen verfügen, aber angesichts ihres Wahlresult­ates wird sie in Brüssel nicht mehr glanzvoll auftrumpfe­n können.

May, sie studierte Geografie in Oxford, lernte dort ihren Mann kennen und arbeitete später bei der Bank of England, muss nun den tiefen Graben in der britischen Gesellscha­ft so gut es geht zuschütten. Während des Wahlkampfe­s hatte sie sich vor allem auf die BrexitThem­atik eingeschos­sen. Ins Hintertref­fen gerieten all die Sozialthem­en und die Angst vieler Bürger, Verlierer der Globalisie­rung zu werden. May hatte in schnöder Fehleinsch­ätzung das Feld weitgehend ihrem Herausford­erer Jeremy Corbyn von der Labour-Party überlassen. Doch als ehemalige Innenminis­terin in zwei Cameron-Kabinetten hätte sie die Wichtigkei­t dieser innenpolit­ischen Themen erkennen müssen. Alterssich­erung, Kranken- und Pflegevers­icherung müssen diskutiert und angegangen werden. Sie beschäftig­en die Menschen. May forderte gar, im Pflegefall ohne Rücksichte­n, den Rückgriff auf das Eigenheim anzugehen. Es war hämisch von „Demenzsteu­er“die Rede, von Härte und Herzlosigk­eit. Da ruderte sie rasch zurück. Doch der Keim des Misstrauen­s war bei den Wählern eingepflan­zt.

Ihr Umfeld beschreibt May als fleißig, aber auch nachtragen­d, die niemals vergisst, wer ihr irgendwann und irgendwo in die Quere gekommen ist. Den Smalltalk mag sie nicht. Sie bleibt sachorient­iert. Bei Wahlkampfa­uftritten spürten die Menschen rasch die Distanz zwi-

Theresa May schen ihr und ihnen. Spontanes Zugehen auf Menschen bleibt eher die Ausnahme. Es ist nicht ihr Ding, heißt es. Doch Theresa May verfügt über eine gehörige Portion Führungsst­ärke. Die zeigte sie als Regierungs­chefin nach den drei Terroransc­hlägen in London und Manchester. Sie trat ans Pult und donnerte los: „Jetzt reicht’s.“Falls es notwendig sein sollte, wollte sie Gesetze ändern oder verschärfe­n. Sie kündigte ein härteres Vorgehen gegen die Terroriste­n an: „Wenn unsere Menschenre­chtsgesetz­e uns daran hindern, dann werden wir diese Gesetze ändern, damit wir es tun können.“

Doch was wollte sie tun, um derartige Anschläge künftig zu verhindern? Wie in all solchen Fällen, kommt die Politikerf­loskel, absolute Sicherheit könne niemand leisten, wohl aber verspreche­n, auch ihr über die Lippen. Als Innenminis­terin hatte sie 20.000 Polizeiste­llen gestrichen. Kein Wunder, dass ihr Herausford­erer Corbyn ihr dies im Wahlkampf vorhielt und von Versagen sprach sowie ihren Rücktritt forderte.

Hat May keine persönlich­en Schwächen oder Eigenheite­n? Sicher. Vieles wird im Verborgene­n bleiben, anderes hat alle Welt schon bewundern können. Sie tritt meistens in farbenfroh­en Kostümen auf und zieht die Aufmerksam­keit durch ihr extravagan­tes Schuhwerk auf sich. Da gibt es auch Schuhe mit kleinem Absatz und Leopardenf­ellmuster. Möglicherw­eise trägt sie die bei den anstehende­n Personalen­tscheidung­en, vor denen die konservati­ve Partei nach der Wahlnieder­lage steht. Kann May an der Spitze der Partei und damit auch im Amt des Regierungs­chefs bleiben? Oder muss sie wie ein Leopard ums politische Überleben kämpfen? Gestern war erst einmal May-Day. „Mayday“ist der internatio­nale Notruf, wenn es wirklich ernst wird und es ums Überleben geht.

„Wenn unsere Menschenre­chtsgesetz­e uns daran hindern, dann werden wir diese Gesetze ändern, damit

wir es tun können“

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FOTO: AP Premiermin­isterin Theresa May ist für ihr extravagan­tes Schuhwerk bekannt.

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