Rheinische Post Hilden

Der unterschät­zte Labour-Rebell

- VON CHRISTOPH MEYER

LONDON (dpa) Jeremy Corbyn ist kein Mann großer Gesten. Ein hochgereck­ter Daumen, ein Lächeln. Das ist alles, was er gewöhnlich im Moment des Triumphs zeigt. Als der 68Jährige in der Wahlnacht am Freitag vor die Mikrofone tritt, sieht er erschöpft aus. Er ist in den vergangene­n Wochen von Wahlkreis zu Wahlkreis gereist, hat auf unzähligen Veranstalt­ungen gesprochen.

Die Mühe hat sich gelohnt. In den Morgenstun­den wird klar: Theresa Mays Konservati­ve haben ihre absolute Mehrheit im britischen Parlament verloren. Corbyn forderte sie zum Rücktritt auf. Abzusehen war das nicht: Viele seiner Fraktionsk­ollegen machten kein Hehl daraus, dass sie ihn für „unwählbar“hielten. Doch Corbyn wurde nicht zum ersten Mal von seinen Gegnern unterschät­zt. Seine vor allem jungen Anhänger verehren ihn wie einen Popstar. Dieses Phänomen hat nun auch bei der Parlaments­wahl seine Wirkung entfaltet.

Der dreifache Vater und in dritter Ehe verheirate­te Politiker gilt als ehrliche Haut, als einer, der nicht mit schmutzige­n Tricks kämpft. Persönlich­e Angriffe und Schmähunge­n beantworte­t er nicht. „Das ist nicht mein Stil“, sagt Corbyn. Seine Agenda passte von Anfang nicht zu der unter Tony Blair nach rechts gerückten Labourpart­ei. Corbyn konzentrie­rt sich auf soziale Themen wie Wohnungsno­t, den schlechten Zustand des Gesundheit­ssystems, Bildung und die Renten. Dafür liebt ihn die Labour-Basis. Doch dazu muss man wissen: Viele seiner Anhänger sind der Partei erst vor Kurzem beigetrete­n. Manche gehen soweit zu sagen, Corbyn habe die Partei mit seiner Graswurzel-Bewegung gekapert.

Mehr als 30 Jahre lang war er ein Labour-Hinterbänk­ler im britischen Parlament. Corbyn machte sich als Parteirebe­ll einen Namen. Das änderte sich, als Labour 2015 krachend gegen die Konservati­ven verlor: Corbyn trat für den Posten des Parteichef­s an. Obwohl ihm nur Außenseite­rchancen eingeräumt worden waren, gewann er mit deutlicher Mehrheit. Noch klarer war sein Sieg ein Jahr später – als er in einer von der Fraktion erzwungene­n Urwahl erneut triumphier­te.

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