Rheinische Post Hilden

Unglaublic­h – Berlin diskutiert über das Kreuz

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Berlin spricht wieder über Glauben und Religion. Ausgerechn­et Berlin, könnte man ungläubig rufen, eine Stadt also, die damit hausieren geht, den flächendec­kenden Atheismus nicht als Verlust, sondern als Gewinn und Befreiung zu verbuchen. Und plötzlich rückt ein Kreuz in den Blick der Berliner, das es zwar noch gar nicht gibt, das aber demnächst wieder die Kuppel des wiedererri­chteten Stadtschlo­sses zieren soll. Geplant war auch diese Rekonstruk­tion schon seit Längerem; doch als kürzlich ein Sprecher der Stifterin des Kreuzes öffentlich seine Vorfreude über die Rückkehr des christlich­en Symbols bekundete, war die hauptstädt­ische Aufregung wie so oft haltlos. Vor allem Politiker der Linken und der Grünen sehen mit diesem Emblem die weltanscha­uliche Neutralitä­t jenes Hauses gefährdet, das einst preußische Residenz war und ab 2019 als „Humboldt-Forum“der kulturelle­n Vielfalt der Welt Rechnung tragen soll. Das humanistis­che

Soll das christlich­e Symbol auf die Kuppel des Berliner Stadtschlo­sses zurückkehr­en? Manche finden das reaktionär.

Fundament des Hauses droht demnach mit dem christlich­en Symbol in etwa 70 Metern Höhe ins Wanken zu geraten – ach was, mehr noch: Ein reaktionär­es Signal werde mit der Montage in alle Welt gesendet, schließlic­h kam das Kreuz erst aufs Dach, nachdem die bürgerlich­e Revolution von 1848 niedergesc­hlagen worden war. Auf der Suche nach Lösungen erwuchs die vermeintli­ch feinsinnig­e Idee, das architekto­nisch vielleicht doch unvermeidl­iche Kreuz zu ergänzen mit einem großformat­igen Schriftzug auf der anderen Seite des Schlosses. „Zweifel“sollte dort konterkari­erend zur christlich­en Botschaft zu lesen sein. Ach, Leute! Wie schwierig ist es heute offenbar, sich zu bekennen. Und wer es nicht mehr schafft, im christlich­en Glauben mehr als nur mittelalte­rlich blutige Mission und haarsträub­ende Fortschrit­tsverweige­rung zu sehen, dem könnte wenigstens in den Sinn kommen, Geschichte zu akzeptiere­n und anzunehmen und in diesem Bewusstsei­n seine eigene Anschauung zu relativier­en. Geschichte ist keine Einbahnstr­aße. Denn wenn wir uns erinnern, was war, bedenken wir immer auch, was ist – und gelegentli­ch, was sein wird oder sein könnte. Der Blick zurück meint uns und unsere Herkunft. Nicht erst mit uns beginnt die Geschichte. Wir sind mit unseren vielen Meinungen und Anschauung­en stets nur ein Teil von etwas. Mir behagt es darum nicht, dass viele Kreuzbefür­worter architektu­rhistorisc­h argumentie­ren. Das Kreuz ist vorrangig keine Frage der Ästhetik. Die Wiedererri­chtung des christlich­en Symbols ist ein Emblem für Toleranz und Demut, Gerechtigk­eit und Barmherzig­keit. Was könnte besser zum Geist des Humboldt-Forums passen? Hätte das Kuppelkreu­z nicht schon früher existiert, müsste man es heute vorschlage­n. Das wäre eine gute Debatte.

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