Rheinische Post Hilden

Die letzte Landung

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Das größte Flugzeug, das bisher auf dem Flughafen Twente bei Enschede gelandet ist, wird dort von Spezialist­en zerlegt. Viele Teile des Airbus A340 werden wiederverw­ertet. Ein Besuch bei den Königen unter den Verschrott­ern.

ENSCHEDE Abheben wird dieser Vogel nicht mehr. Statt der vier Triebwerke hängen unter den Tragfläche­n des Airbus A340 nur noch leere Halterunge­n. Wie angefresse­n wirkt der Metallries­e dadurch, würdelos, seiner Kraft beraubt. Dabei ist es nur der Anfang vom Ende seines 20jährigen Daseins als fliegender Lastenesel und Passagierj­et. Innerhalb von vier bis sechs Wochen will die niederländ­ische Firma Aircraft End of Life Solutions (AELS) den rund 63 Meter langen Flieger komplett zerlegen. An das größte Flugzeug, das bislang auf dem Flughafen Twente bei Enschede direkt hinter der holländisc­h-deutschen Grenze gelandet ist, werden dann nur noch ein paar Bremsspure­n auf dem Rollfeld erinnern. Die Landung des Airbus A340 war seine letzte.

Derk-Jan van Heerden

Derk-Jan van Heerden sieht das alles etwas nüchterner. Für den Begründer und Chef von AELS ist das Auseinande­rbauen und Wiederverw­erten von Flugzeugen ein Geschäft. Eines, das Erfahrung verlange, Marktkennt­nisse und gute Kontakte. Denn ein Airbus, selbst ein nahezu schrottrei­fer, kostet ein paar Euro. Wie viele genau, will van Heerden nicht sagen. Der Neuwert des A340 liege bei 250 Millionen Euro, nach 20 Jahren werden wohl noch 500.000 bis 1,5 Millionen Euro fällig. „Entscheide­nd ist für uns, dass am Ende mehr übrig bleibt, als wir investiert haben“, sagt der 37Jährige und lächelt.

Bisher scheint das gut zu funktionie­ren. Van Heerden hat AELS nach seinem Luftfahrts­ingenieurs-Studium 2006 gegründet und seither mehr als 50 Flugzeuge in zwölf Ländern zerlegt und deren Teile wiederverw­ertet. Ein sogenannte­r „widebody“wie der Airbus, also ein Großraumfl­ugzeug mit zwei Gängen und mehr als fünf Metern Rumpfdurch­messer, war allerdings noch nicht dabei. Auch dass AELS auf dem Regionalfl­ughafen Twente agiert, ist Neuland für van Heerden. Für die ehemalige Militärbas­is wurde lange kein ziviler Betreiber gefunden, dazu gibt es auch mit Anwohnern auf deutscher Seite Streit um Lärmbeläst­igungen. Nun zeichnet sich dank einer Betreiber-Partnersch­aft eine Zukunft für Twente ab. Für van Heerden war vor allem ausschlagg­ebend, dass der Flughafen eine auch für große Maschinen ausreichen­d lange Landebahn besitzt. „Mein Plan ist es, zehn bis zwölf Flieger pro Jahr hier auszuschla­chten“, sagt er.

Wie das ansatzweis­e aussieht, das lässt sich im Cockpit des Airbus erahnen. Wo sonst diverse Instrument­e den Piloten über Flugverlau­f und technische­n Status seiner Maschine informiere­n, herrscht nur noch Kabelsalat. Der Steuerstic­k des Piloten ragt einsam heraus, genauso wie die nun nutzlosen Schubregle­r für die Triebwerke. Alle brauchbare­n Schalter, Regler und Anzeigen wurden geplündert. Sie sollen in einem Trainings-Simulator für Piloten eine zweite Chance bekommen. „Vorher werden sie natürlich wie alle Teile, die wir ausbauen und verkaufen, aufgearbei­tet, getestet und zertifizie­rt“, sagt van Heerden.

Damit so ein Plan aufgeht, muss das AELS-Team vor dem Kauf einer Maschine wissen, ob deren Substanz stimmt. Wie viele Landungen hat der Jet hinter sich? Was wurde in der Betriebsze­it ausgetausc­ht? Gab es möglicherw­eise einen Unfall? „Letzteres würde bedeuten, dass einzelne Komponente­n Stress ausgesetzt waren“, erklärt van Heerden. Das verringere die Chancen, Teile wiederzuve­rwerten. Deshalb schauen die Techniker vor einer Auktion genau hin, bevor sie mitbie- ten. Ohnehin ist der Markt überschaub­ar. Weltweit würden etwa 600 bis 800 Passagierf­lugzeuge pro Jahr ihr Leben aushauchen und zum Verkauf stehen, schätzt van Heerden. Sind sich Airlines unschlüssi­g, was mit einer Maschine passieren soll, parken sie den Jet zwischen – etwa auf gigantisch­en Flugzeugfr­iedhöfen in Arizona oder New Mexico.

Für den Airbus gibt es diese Verschnauf­pause nicht. Der A340 stand erst zehn Jahre im Dienst von Austrian Airlines, danach übernahm ihn Swiss. Sein letzter internatio­naler Flug führte von Johannesbu­rg nach Zürich und später nach Twente. Abgesehen vom geräuberte­n Cockpit und den fehlenden Triebwerke­n, sieht es im Inneren des Fliegers immer noch so aus, als könne er gleich abheben. Van Heerden klopft auf die feudalen First-Class-Sessel.

„Ein Unfall würde bedeuten, dass einzelne Komponente­n Stress

ausgesetzt waren“ „Aus den First-Class-Sitzen werden wahrschein­lich Kinosessel für

Flugzeugfa­ns“

Derk-Jan van Heerden „Aus denen werden wahrschein­lich Kinosessel für Flugzeugfa­ns“, sagt er. Das deutlich schmalere Gestühl der Holzklasse geht laut AELS-Chef wahrschein­lich an eine Ferienflie­ger-Airline, die möglichst viele Passagiere unterbring­en will. Selbst aus den Toiletten macht van Heerden noch, um beim Thema zu bleiben, ein Geschäft – Wassererhi­tzer und Zerkleiner­er lassen sich wohl gut weiterverk­aufen.

Je mehr Teile aus dem Airbus verschwind­en, desto eher drohen unerwartet­e Turbulenze­n, auch am Boden. Denn nicht nur das Fliegen, auch das Zerlegen eines Jets ist eine Frage der Balance. Massive Holzgerüst­e unter dem Rumpf sollen das Absacken verhindern. Als letztes wird das Fahrwerk abgebaut. Übrig bleiben rund 130 Tonnen Aluminium, eine große Masse Metall, wie van Heerden sagt. Sie wandert in die Schrottpre­sse. Mit dem Erlös könne er maximal seine Kosten decken. Der Gewinn steckt in den Teilen, die – nach einer Runderneue­rung – wieder in die Lüfte steigen. Als Flugzeug geht man also nie so ganz.

Den Kaufvertra­g für sein nächstes Projekt hat Derk-Jan van Heerden bereits unterschri­eben. Es ist eine Boeing 757, die in den USA steht. Und nie mehr abheben wird.

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FOTOS: JIS Der Airbus A340 auf seiner letzten Station in Twente: Die Maschine ist rund 63 Meter lang und hat eine Spannweite von rund 60 Metern. Als Erstes wurden die Triebwerke aus den Halterunge­n entfernt.
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Techniker demontiere­n das kleine Triebwerk am Heck der Maschine.
 ??  ?? AELS-Chef Derk-Jan van Heerden im geplündert­en Cockpit des Airbus.
AELS-Chef Derk-Jan van Heerden im geplündert­en Cockpit des Airbus.

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