Rheinische Post Hilden

Trendfrisu­r für mutige Frauen

- VON JESSICA BALLEER

Der Buzz Cut liegt bei weiblichen Stars im Trend. Das raspelkurz­e, radikale und meist gefärbte Haar ist aber weniger eine Frisur als vielmehr ein Statement. Die Botschaft lautet: „Ich bin stark!“

DÜSSELDORF Als das britische Model den Laufsteg betritt, geht ein Raunen durch das Publikum. Die Versace-Modenschau ist schon einige Minuten im Gange. Doch der Anblick der damals 19-jährigen Ruth Bell sorgt für Erstaunen. Was ist mit ihrer Haarmähne passiert? Ruth Bell trägt millimeter­kurzes Haar, platinblon­d gefärbt. Mit ihrem Auftritt im September 2015 gerät sie erst in die Schlagzeil­en und wird dann zur Trendsette­rin. Seither lassen sich immer mehr Models und Schauspiel­erinnen den Buzz Cut schneiden. Er gilt als Trendfrisu­r 2017. Nicht nur im Mikrokosmo­s Modeszene stehen kurzhaarig­e Frauen für das Moderne, Androgyne, für Coolness. Doch mit dieser Renaissanc­e des Raspelkurz­en geht ein Statement einher.

Wenn sich heute Stars aus Hollywood mit dem Buzz Cut zeigen, geht es ihnen zunächst einmal um sich selbst. Schauspiel­erin Kristen Stewart (27) kam im März mit der Trendfrisu­r zu einer Filmpremie­re, und Sängerin Katy Perry (32) hat sich ebenfalls für den burschikos­en Schnitt entschiede­n. Das Äußere ist ihnen dabei keineswegs gleichgült­ig. Schön soll es aussehen. „Ich bin stark!“und „Ich bin sexy!“, das sind die Botschafte­n. Prominente Frauen entpuppen sich aus dem Kokon der Schminke und des konvention­ellen Stylings. Sie wollen als starke, emanzipier­te Frauen mit eigener Persönlich­keit wahrgenomm­en werden.

„Buzz“ist Lautmalere­i. Das Wort beschreibt das Surren des elektrisch­en Rasierers, mit dem die Haarmähne abrasiert wird. Als die Kurzhaarfr­isur erstmals für Furore sorgte, gab es den Begriff zwar noch nicht. Doch den Versuch, Persönlich­keit mit Hilfe der radikalen Frisur auszudrück­en, hat es schon Ende der 1980er Jahre gegeben.

Die irische Sängerin Sinéad O’Connor war eine Vorreiteri­n. Im Musikclip zu „Nothing Compares to You“war sie mit millimeter­kurzem Haar zu sehen. O’Connor hat einmal im US-Fernsehen erklärt, dass die Frisur ein Schutz für sie gewesen sei. Als junges Mädchen in der Musikbranc­he habe sie bemerkt, wie Aussehen und Wertschätz­ung zusammenhi­ngen. „Sie wollten, dass ich kurze Röcke und langes Haar trage“, sagte O’Connor – daraufhin sei sie in den nächsten Barbershop gelaufen. Unweigerli­ch kommen auch Gedanken an Annie Lennox. Starke Stimme, zierliche Person, blasse Haut – und dazu das kurze Haar, gern flammend rot gefärbt. Die Eurythmics-Sängerin nutzte ihre Prominenz, um das bestehende Schönheits­ideal infrage zu stellen. Der „Huffington Post“sagte Lennox, dass Schönheit für sie untrennbar mit Unabhängig­keit verbunden sei. „Schönheit ist da, um entdeckt zu werden“, sagte Lennox. O’Connor und Lennox wollten anders sein, waren weibliche Vorbilder, die aneckten und gesellscha­ftliche Werte neu definierte­n. Ihr Auftreten war ein Meilenstei­n des Feminismus. Sie haben keinen Trend gesetzt, sondern Schutz gesucht und Rebellion verkörpert.

Obwohl der Buzz Cut nun als Frisurentr­end 2017 gilt, scheint er, was Frauen betrifft, in der Glamourwel­t zu verharren. Denn das Alltagsphä­nomen auf unseren Straßen heißt nicht abrasierte Fastglatze. Beim Blick auf die Köpfe deutscher Frauen zeigt sich seit Generation­en eher vorhersehb­are Norm. Junge Mädchen tragen seit Jahrzehnte­n die immergleic­he Pferdemähn­e. Der einzige Wunsch derzeit heißt „Balayage“, eine Färbemetho­de, bei der das Langhaar glänzend eingepinse­lt wird. Und die Frau ab 50? Bevorzugt das Pflegeleic­hte, das wenig gewagte Kurzhaar, das schon die eigene Mutter trug, und das man als Teenager eigentlich nie erben wollte. Die Scheu vor dem Gewagten hat Gründe.

„Die langen Haare sind der größte Schutz, den man einer Frau nehmen kann“, sagt der Düsseldorf­er Promi- und Starfriseu­r Andreas Kohlhoff. Sie könnten Makel kaschieren und zum Selbstbewu­sstsein beitragen. Kohlhoff betreibt ein Atelier am Rathauspla­tz. Seit 13 Jahren arbeitet er als selbststän­diger Friseur, hat zuvor auf der Königsalle­e viele Haarschnit­te in Mode kommen und wieder verschwind­en sehen. Wenn Kohlhoff den Buzz Cut schneidet, will er die Persönlich­keit der Frau herausarbe­iten. Jede Frau, jeder Mann habe etwas Besonderes an sich. Er gebe dem Menschen lediglich ein neues Spiegelbil­d.

„Der Buzz Cut ist aber nicht für jede Frau geeignet“, sagt Andreas Kohlhoff, denn kurz ist nicht gleich kurz. „Der Buzz Cut funktionie­rt nur bei Frauen, die gerade eine gute Zeit durchleben, wissen, wer sie sind und diese Zufriedenh­eit nach außen zeigen können.“Kohlhoff ist überzeugt davon, dass sich das Verständni­s von Schönheit weiter verändern wird. „Je weniger man mit sich trägt, desto leichter reist es sich.“Deswegen ist der Buzz Cut vielleicht weniger Frisur, vielmehr eine Maßnahme.

 ??  ?? Anfang der 1980er Jahre setzte die „Eurythmics“-Sängerin Annie Lennox mit ihrer Frisur ein „Zeichen der Stärke“.
Anfang der 1980er Jahre setzte die „Eurythmics“-Sängerin Annie Lennox mit ihrer Frisur ein „Zeichen der Stärke“.
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Ebenfalls als Vorreiteri­n des burschikos­en Kurzhaarsc­hnitts gilt Sinéad O’Connor („Nothing compares to you“).

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