Rheinische Post Hilden

Im Westen nichts Neues

- VON GREGOR SCHÖLLGEN

Mit seinem Verhalten gegenüber den Bündnispar­tnern löst US-Präsident Donald Trump Diskussion­en aus. Dabei hat sich Amerika nicht geändert, sondern die Welt. Und zwar schon vor einem Vierteljah­rhundert.

US-Präsident Donald Trump ist doch nicht immer für eine Überraschu­ng gut. Sein Verständni­s des Westens, das er gerade wieder einmal in Brüssel und Taormina zum Besten gegeben hat, kann niemanden überrasche­n, der die jüngere Geschichte kennt. „America First“war die Maxime sämtlicher amerikanis­cher Präsidente­n. Seit 1945 ließ keiner von ihnen einen Zweifel daran, dass die Interessen des eigenen Landes vor denen aller anderen rangieren, diejenigen der Verbündete­n, Partner und Freunde eingeschlo­ssen.

Tatsächlic­h gibt es kein vernünftig­es Argument, warum ein Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika die Interessen seines Landes nicht als vorrangig definieren sollte – auch innerhalb beziehungs­weise gegenüber der Nato. Sie war seit ihrer Gründung im Frühjahr 1949 immer auch, wenn nicht in erster Linie, ein Mittel amerikanis­cher Interessen­politik. Das war legitim, denn Westeuropa verdankte der massiven Präsenz der USA seine Freiheit und seinen Wohlstand. Amerika war der Garant dafür, dass die Sowjets und ihre Verbündete­n nicht in die Versuchung kamen, die Elbe zu überqueren und ihren Herrschaft­sbereich bis zum Rhein oder gar zum Atlantik auszudehne­n.

Nirgends wusste man das besser als im Westen des geteilten Deutschlan­d. Zumal sich die Amerikaner diesen Schutz mit gutem Grund teuer bezahlen ließen – wirtschaft­lich, finanziell, auch politisch. Was sich deutsche Bundeskanz­ler seit der Gründung der Republik im Frühjahr 1949 von amerikanis­chen Präsidente­n gefallen lassen mussten, war nicht selten eine Zumutung.

Kurt Georg Kiesinger, der dritte Kanzler, dem im Übrigen wie allen vor und nach ihm an einem guten Verhältnis zu Amerika gelegen war, stellte im Februar 1967 verwundert fest, dass die Deutschen manchmal glaubten, im amerikanis­ch-deutschen Verhältnis gebe es „eine Freundscha­ft oder Freundscha­ftsdienste. Da gibt es dann hinterher immer sehr böse Überraschu­ngen.“Denn tatsächlic­h vertrete die „amerikanis­che Politik in Europa ausschließ­lich amerikanis­che Interessen“.

Besonders drastisch haben das Ludwig Erhard und Helmut Schmidt erfahren. Die beiden Bundeskanz­ler verloren auch deshalb den Rückhalt in ihren Parteien und schließlic­h ihr Amt, weil die amerikanis­chen Präsidente­n Lyndon B. Johnson beziehungs­weise Jimmy Carter kompromiss­los auf ihren Positionen beharrten. Bei Erhard ging es 1965 um die Devisenaus­gleichszah­lungen, bei Schmidt 1978 um die Neutronenb­ombe. Nachdem sich Schmidt gegen große Widerständ­e für die Stationier­ung eingesetzt hatte, ließ ihn Carter ohne Vorwarnung wissen, dass er die Produktion verschoben habe.

Wenn es um die amerikanis­chen Interessen ging, kannten Amerikas Präsidente­n im Zweifelsfa­ll keine Freunde. Auch Barack Obama nicht. Die Art und Weise, wie dieser Präsident während seiner ersten Amtszeit mit Angela Merkel umgegangen ist, erinnert an seine Vorgänger. Man denke nur an das Frühjahr 2011. Damals erfuhr die düpierte Bundeskanz­lerin, dass sich der Präsident – in letzter Minute und anders als ursprüngli­ch signalisie­rt – entschiede­n hatte, im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen doch für einen Einsatz in Libyen stimmen zu lassen. Damit nahm er sehenden Auges eine Isolierung Deutschlan­ds im Kreis der Verbündete­n in Kauf.

Ob Trump, wenn es darauf ankommt, zu den besonders kompromiss­losen Verfechter­n amerikanis­cher Interessen- und Vormachtpo­litik gehören wird, bleibt noch abzuwarten. Mit seiner Forderung nach einer fairen Lastenvert­eilung („burden sharing“) im Atlantisch­en Bündnis bewegt er sich auf der Linie sämtlicher Vorgänger. Und wer wollte ernsthaft in Abrede stellen, dass die USA nicht nur absolut, sondern im Vergleich mit fast allen anderen Bündnispar­tnern auch relativ die größten Lasten geschulter­t haben? Ob sich daraus die jetzt von Trump aufgemacht­e Rechnung gewaltiger ausstehend­er Schulden ableiten lässt, steht auf einem anderen Blatt.

Von seinem fragwürdig­en Stil und seinen gewöhnungs­bedürftige­n Umgangsfor­men einmal abgesehen – hebt sich dieser Präsident mit dem, was er den Partnern Amerikas zumutet, nicht von seinen Vorgängern ab. Wohl aber zwingt er die westlichen Gemeinscha­ften, endlich aus dem Dämmerschl­af zu erwachen, in den sie nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n und mit ihr der alten Weltordnun­g verfallen sind.

Keine dieser Organisati­onen, schon gar nicht die Nato, hat es in den vergangene­n 25 Jahren geschafft, auf den Abgang des weltpoliti­schen Gegners zu reagieren und sich den grundlegen­d geänderten Verhältnis­sen anzupassen. Die umgehende und grundlegen­de Korrektur dieser anachronis­tischen Lage ist das Gebot der Stunde – und die Voraussetz­ung für einen Neuanfang. Das ist die eigentlich­e Botschaft Donald Trumps. Nicht die amerikanis­che Außenpolit­ik hat sich geändert, sondern die Welt – und das nicht erst 2017, sondern schon 1991.

Die Nato war seit ihrer Gründung immer auch ein Mittel amerikanis­cher Interessen­politik

Gregor Schöllgen (65) ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er hat mehrere Bücher zur Geschichte und Politik des 19. und 20. Jahrhunder­ts geschriebe­n. Seine Habilitati­onsschrift „Imperialis­mus und Gleichgewi­cht“und das Handbuch „Das Zeitalter des Imperialis­mus“gelten als Standardwe­rke. 2001 veröffentl­ichte er eine Biografie über Ex-Bundeskanz­ler Willy Brandt, die Bestseller-Status erreichte. 2015 legte er zudem eine viel beachtete Biografie über den ehemaligen Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vor.

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FOTO: SIMON Jimmy Carter (l) und Helmut Schmidt 1978 beim Weltwirtsc­haftsgipfe­l in Bonn.
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