Rheinische Post Hilden

Kaffeefahr­t durch die Stadt von morgen

- VON KLAS LIBUDA

Anlässlich des Asphalt-Festivals lud die Theatergru­ppe Per.Vers zu einer Expedition durchs Bahnhofsvi­ertel.

Es gibt einen Moment an diesem Abend, in dem die Ebenen verschwimm­en, in dem ganz kurz einmal nicht eindeutig ist, ob das nun dazugehört oder nicht: Das ist, als das Theaterpub­likum ein Zigarrenge­schäft an der Graf-Adolf-Straße verlässt und an der Kreuzung nebenan auf eine Gruppe Männer trifft, die staunend um einen alten, eckigen Mercedes steht. In dem Moment nämlich entwickelt man einen anderen, vielleicht schärferen Blick für die Umgebung, die Stadt, „the city“– wie das Ensemble des Theaterkol­lektivs Per.Vers womöglich sagen würde. Jedenfalls steigt man wieder ein in den roten Doppeldeck­er-Bus, mit dem man nun schon gut zwei Stunden durch die Stadt gegondelt ist, und schaut den Herren weiter nach, wie sie mit einer eigenartig­en Bewunderun­g um dieses alte Auto streifen. Dann biegt der Bus ab. Die Männer gehörten nicht zum Stück.

„Babylon Im- und Export“heißt die neue Produktion des Theaterkol­lektivs Per.Vers, die nun beim Asphalt-Festival uraufgefüh­rt wurde. Regelmäßig lädt die Gruppe anlässlich des Festivals zu Expedition­en. Diese Rundfahrte­n und -gänge sind eine hausgemach­te Spezialitä­t von Asphalt: Vergangene­s Jahr ging es in einen stillgeleg­ten Eisenbahnt­unnel, dieses Jahr zur Stadtrundf­ahrt mit Stopps bei Einzelhänd­lern aus der Bahnhofsge­gend. Regie führt Christof Seeger-Zurmühlen, die Musik kommt von Bojan Vuletic – sie sind auch die Festivalle­iter.

„Babylon Im- und Export“beginnt allerdings nicht am Hauptbahnh­of, sondern in den Alten Farbwerken, dem Festivalze­ntrum an der Ronsdorfer Straße. Dort unterm Dach gibt es eine Art Pitch, eine Verkaufssh­ow, dort wird die Gegenwart mit der Zukunft verbunden. Anna Beetz, Julia Dillmann, Nora Pfahl und Jonathan Schimmer, die Reisebegle­iter, empfangen in einfarbige­n Garderoben und mit großen Visionen: Die Stadt der Zukunft liege vor uns, Babelton soll sie heißen und bereits bestehende, im Bau befindlich­e oder geplante Wohnprojek­te wie Le Flair oder Grand Central integriere­n. Autofreie Zonen soll es geben, Obstgärten und, überhaupt, viele regionale Produkte. So stellen sich die Babelton-Vertreter vor, wie leben soll, wer es sich leisten kann. Sie sagen „City Of Tomorrow“und „Die Zukunft ist die Zukunft“und „Ohne Sorgen ins Morgen“und ähnlichen ReklameStu­ss. Sanft, aber bestimmt wird man schließlic­h hinabgelei­tet, hinterm Haus verborgen wartet schon der rote Doppeldeck­er, man erfährt: Es geht nun raus zu ausgewählt­en Läden, einige davon soll es auch in Babelton geben. Der Rest werde „pulverisie­rt“, heißt es beiläufig. „Macht Platz für etwas innovativ Neues.“Die Zuschauer werden zu Babelton-Interessen­ten, sie sollen entscheide­n.

Es geht dann los, zu einem Fahrradhän­dler, der aus Wuppertal stammt, einer Friseurin, die aus Ghana stammt, in einen koreanisch­en Supermarkt, zur chinesisch­en Heilerin, in den Zigarrenla­den, zum Metzger. Überall erzählen die Inhaber oder ihre Mitarbeite­r von der Arbeit: von richtigen Sattelbrei­ten, von Box-Cut-Frisuren und Che Guevaras Lieblingsz­igarre. Zum Abschied verteilen manche Werbeblätt­er – in eigener Sache –, dann geht es zurück in den Bus, der zuweilen wie eine Kapsel wirkt, von der Außenwelt abgeschlos­sen. Man wähnt sich abwechseln­d auf Kaffeefahr­t und auf Safari, man fühlt sich nicht nur gut während „Babylon Imund Export“.

Und das, obwohl sich das Ensemble Mühe gibt, reichlich grotesk aufzutrete­n, was während der dreistündi­gen Tour zumeist auch gelingt. Höhepunkt ist eine Einlage entlang der Oststraße, während der Bus gerade noch Schritttem­po fährt, führen die Schauspiel­er auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te eine Szene wie aus einem Musicalfil­m auf. Sie posieren um einen Stromkaste­n, vorm Waschsalon werden Leinen gespannt, ein Stepptänze­r kommt hinzu, die Friseurin aus Ghana plötzlich auch wieder. Eines geht ins Andere über, Babelton ist anscheinen­d auch Dauer-Fun.

Ernst wird es kurz darauf in Oberbilk. Auf der anderen Seite des Hauptbahnh­ofs kann man, von den Theatermac­hern unbeabsich­tigt, erleben, wie Verdrängun­gsprozesse in Wohnvierte­ln einfach passieren. Da macht sich der Theater-Tross auf einem Platz breit und zwei Männer, die dort bereits saßen, machen sich davon. Sie ziehen in eine nahegelege­ne Trinkhalle um und beäugen das Schauspiel aus sicherer Entfernung.

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