Rheinische Post Hilden

„Kopflastig­keit ist für mich Qualität“

- ANNETTE BOSETTI FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Direktor der Kunsthalle Düsseldorf über Perspektiv­en und Kritik an seinem Programm anlässlich des 50. Geburtstag­s des Museums.

Die Kunsthalle wird 50 – wie groß fiel die Geburtstag­storte aus? JANSEN Der Geburtstag meint ja das Haus. Insofern ist die Torte nicht zwingend. Wichtig ist die Wahrnehmun­g des Platzhalte­ns, des Ortes und der kantigen Architektu­r. Noch wichtiger als eine Geburtstag­storte ist: dass die Stadt die Autonomie des Hauses bekräftigt hat. Sie hatten Sondermitt­el in Höhe von 150.000 Euro beantragt, ein Drittel hat man Ihnen nur gegeben. Wie soll man damit vier Jubiläumsa­usstellung­en bestreiten? JANSEN Unser Wunsch, das Archiv zu digitalisi­eren, war jetzt nicht zu realisiere­n. Die Ausstellun­gen können wir dank weiterer Förderer gut machen mit den 60.000 Euro, die die Stadt uns zur Verfügung gestellt hat. Es ertönt Kritik aus der Künstlersc­haft, dass Sie im Jubiläumsj­ahr vor allem zurückscha­uen, die aktuellen Entwicklun­gen seit den 1980er Jahren indes nicht berücksich­tigen. JANSEN Die Kritik nehme ich gerne an, obwohl die 1980er auch eine Rückschau wären. Zum 50. schauen wir zweimal auf die sehr spannende Phase seit 1967 bis 1980, institutio­nell und künstleris­ch. Damals ist die neue Kunsthalle groß geworden. Diese wichtige Zeit bedarf der permanente­n Neubetrach­tung. Die Düsseldorf­er Künstler wollen sich mit dem Ausstellun­gshaus identifizi­eren. Was tun Sie für sie? JANSEN Diese Forderunge­n, dass einer zu kurz kommt, höre ich, seitdem ich die Kunsthalle kenne. Wir wollen Entdeckung­en, eben eine permanente Neubetrach­tung. Die Kunsthalle ist ein lokal verankerte­s, der Bauchnabel­schau, aber auch der Internatio­nalität verpflicht­etes Ausstellun­gshaus. Vielleicht haben Sie die falschen Künstler gezeigt? JANSEN Meine allererste Ausstellun­g war 2010 Hans-Peter Feldmann, dann Ausstellun­gen mit Kriwet, Tal R, Tomma Abts, Thomas Ruff, Rita McBride, oder mit Ralf Berger, Bianca Grüger, Heinz Hausmann, Aron Mehzion, Reinhard Mucha, Tony Cragg, Imi Knoebel, aktuell Emil Schult, Katharina Sieverding und viele andere – alles Künstler, die hier in Düsseldorf leben oder arbeiten. Manches kommt eben zu kurz . . . JANSEN Man muss Kunsthalle und KIT (Kunst im Tunnel) mit ihren Aufträgen zusammen sehen, die Häuser ergänzen sich internatio­nal und lokal. Es sind die lokalen Künstler, die uns auch am stärksten die Treue halten und die Identifika­tion mit dem Haus fordern und suchen. Manchmal sind Ihre Ausstellun­gen zu kopflastig. Man versteht Titel und Texte nicht und verliert dann schon die Lust hinzugehen. JANSEN Permanent werden mir Marketingk­onzepte angeboten, wie man effektiver und publikumsw­irksamer arbeiten könnte. Ich bin hingegen der Meinung, dass die Titel und Texte exakt auf dem Qualitätsn­iveau sind, das dem Haus gut steht. Ihr Qualitätsn­iveau heißt? JANSEN Dass wir Leute animieren wollen, Dinge unter einem Anspruch wahrzunehm­en, der vergleichb­ar beim Essen nicht Fast Food, sondern Slowfood entspricht. Slowfood in der Kunst? JANSEN Wir produziere­n keine Häppchen, sondern Nachhaltig­es und Intellektu­elles, das anregt, über Kultur, Gesellscha­ft und eigene wie fremde Identität nachzudenk­en. Dabei ist das Wichtigste? JANSEN Kopflastig­keit ist für mich eine Qualität, aber auch das Bauchgefüh­l. Zusammenge­nommen geht es mir immer um Sinnlichke­it. Sie haben die Kunsthalle einmal Task Force genannt – welche Einsätze sind von Erfolgen gekrönt? JANSEN Die Dinge und Verhältnis­se immer wieder neu zu denken, die Kunsthalle aus dem Fahrtwind zu nehmen. Das bedeutet, keinem Trend hinterherz­uhecheln. Dass wir auch nicht einer Mode oder dem Jargon das Wort reden oder der Kurzlebigk­eit von Tendenzen gehorchen. Wir möchten etwas unternehme­n, was unerwartet ist, das Unangepass­te in den Vordergrun­d stellt und das Scheitern nicht ausschließ­t. Woran merkt man das? JANSEN An bekannten wie neuen Namen, den interdiszi­plinären Programmen mit Theater und Performanc­e, an Kooperatio­nen. Es gibt den Wunsch, diese Institutio­n selber immer wieder als eine sich in Frage stellende darzustell­en, die sich kritisch mit sich selbst auseinande­rsetzt. Das kann die Kunsthalle nur, weil sie kein Museum und keine Privatsamm­lung ist. JANSEN Genau. Wir möchten hier Reibung erzeugen, keine Glättung. Wir sind keine Friedenstr­uppe, sondern ein produktive­r ReibungsEn­ergieerzeu­ger. Wie viele Menschen ziehen Sie damit in Ihr Haus? JANSEN 50.000 haben wir im Jahr. Könnte das besser sein? JANSEN Immer. Aber es ist eine ehrliche Zahl. Ich merke, dass unsere Ausstellun­gen national, aber auch internatio­nal in Kunstkreis­en wahrgenomm­en werden. Die Qualität der Besucher ist mir auch wichtig, beinahe wichtiger als die pure Quantität. Das klingt arrogant. JANSEN Die Anerkennun­g des Ortes aufgrund seiner Geschichte und seines Energiespe­ichers muss hochgehalt­en werden. In den 60er und 70er Jahren war die Kunsthalle eines der wegweisend­en Institute überhaupt. Davon profitiere ich bis heute. Der Ruf ist immer noch sehr gut. Wir sind nicht das zugkräftig­ste Haus, aber von der Reputation her stehen wir sehr gut da. Der Plan, die Kunsthalle unter die Regie des Museums Kunstpalas­t zu geben, ist vom Tisch, worüber Sie erleichter­t sein dürften. Wäre es angesichts des schmalen Budgets, das Sie haben, nicht doch besser, Sie würden im großen Verbund mit einem neuen Generaldir­ektor arbeiten? JANSEN Nein. Das passt nicht von den Formaten her. Der Fehler wäre, dass man ein Museum mit der Kunsthalle gleichstel­len würde. Aber Sie hätten mehr Geld. JANSEN Das halte ich für ein Gerücht. In Düsseldorf ist gerade viel los, aus Frankfurt kommen zwei renommiert­e Direktoren an die landeseige­ne NRW-Kunstsamml­ung und an das städtische Museum Kunstpalas­t. Die Stadt hat Ihnen die Autonomie bestätigt, selbst im Keramikmus­eum ist eine neue Direktorin berufen. Das schreit doch nach einem Zusammensc­hluss des Führungspe­rsonals. JANSEN Ja, da liegt ein hohes Potenzial. Wenn wir Direktoren uns regel- mäßig treffen, könnten wir Konzentrat­ionen herstellen und Vielfalt. Woraus sich ein Marketingk­onzept wie von selbst schriebe . . . JANSEN Ja, das wäre mein Wunsch. Dass wir uns abstimmen und unsere Themen im Sinne der Qualität koordinier­en. Man konnte ja sehen, was beim Grand Départ möglich war. Sie wollen der Stadt auf die Sprünge helfen? JANSEN Die Stadt tut einiges, aber nicht genug. Der Sammler Christian Boros sagt: Das Tolle an Düsseldorf ist, dass die Qualität der Kunst immer Weltspitze ist. Das Erschrecke­nde ist, dass die Marketinge­xperten dieses Potenzial nicht ausschöpfe­n. Die Gefahr in dieser Stadt ist, dass man sich vor allem auf den Sport einschießt. JANSEN Damit bleibt weniger für Kultur. Die Stadt genießt weit über die Grenzen hinaus das Klischee des hohen Kulturansp­ruchs. Und das zu Recht. Das ist pures Kapital. Wenn das Niveau herunterge­fahren wird, stimmt etwas nicht mehr.

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FOTO: VOLKER KRÄMER Tadel im Jahr 1967: Joseph Beuys, Karl Bobeck, Rolf Sackenheim, Norbert Kricke und Gerhard Hoehme (v.l.) . Die fünf Kunstprofe­ssoren sparten nicht mit Kritik an der neuen Kunsthalle, die ihrer Meinung nach abgerissen werden sollte.
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FOTO: KATJA ILLNER Gregor Jansen, Direktor der Kunsthalle Düsseldorf.

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