Rheinische Post Hilden

INTERVIEW „Kirche ist in einer Epoche des Umbruchs“

- DIE FRAGEN STELLTE RP-REDAKTEURI­N ALEXANDRA RÜTTGEN.

Vor gut einem Jahr entschied Kardinal Woelki, dass Reiner Nieswandt auch die Pfarrstell­e in Hilden besetzt. Eine erste Bilanz.

Herr Nieswandt, seit gut einem Jahr sind Sie als Pfarrer zunächst für Haan und jetzt auch für Hilden für fünf Kirchen und 28.000 Katholiken in beiden Städten zuständig. Ist dies eine zu bewältigen­de Aufgabe? NIESWANDT Es gelingt mir, die anstehende­n Aufgaben gut zu bewältigen, weil in beiden Städten ein qualifizie­rtes Team von pastoralen Mitarbeite­rn, Angestelle­n der Gemeinden und vor allem eine große Zahl ehrenamtli­ch engagierte­r Menschen die Herausford­erungen sieht und mich nach Kräften unterstütz­t. Wie lang ist Ihr Arbeitstag? NIESWANDT In der Regel stehe ich so früh auf, dass ich viel „Bürokram“schon vor dem ersten Termin am Morgen bewältigen kann. Aber auch das geistliche Leben kommt bei mir nicht zu kurz. Die erste Stunde am Morgen gehört dem Gebet, dem Gespräch mit Gott. In der Regel stehe ich um 6 Uhr auf, wenn ich keine frühen Termine habe, auch mal später. Abends gehe ich meistens nach 23 Uhr ins Bett, gönne mir aber auch einen kleinen Mittagssch­laf, was im Übrigen erstens effizient und zweitens sehr gesund ist! Mit welchen Vorsätzen und Idealen sind Sie Ihr Amt in Hilden angetreten? Welche davon konnten Sie umsetzen, welche noch nicht? NIESWANDT Ein Sprichwort sagt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflaster­t. Scherz beiseite: Mir ist es weiterhin wichtig, an den persönlich­en Haltungen von Respekt, Wertschätz­ung und Begegnung auf Augenhöhe zu arbeiten. Dann gelingt auch die Arbeit bzw. sie misslingt vor allem da, wo diese Haltungen nicht praktizier­t werden. Wir wissen alle darum, dass die Katholisch­e Kirche sich in einer Epoche des Umbruchs befindet, wie zuletzt zu Beginn der Reformatio­n vor 500 Jahren. Da ist es wichtig, Unsicherhe­it und Fragen - eigene, wie die der Menschen in den Gemeinden - zuzulassen und mit den Menschen gemeinsam Antworten auf die Herausford­erungen des Tages zu geben. Dass es nicht mehr so weitergehe­n kann, wie in den vergangene­n 150 Jahren, spüren wir immer mehr. Deswegen kann es auch kein Zurück geben zu einer Gestalt von Kirche, wie sie im 19. Jahrhunder­t in Deutschlan­d existierte. Welche Erwartunge­n setzen die Gläubigen in Sie? Haben die Haaner andere Bedürfniss­e als die Hildener? NIESWANDT Sicherlich gibt es unterschie­dliche Erfahrunge­n und Erwartunge­n in Hilden und Haan. Die Haaner kennen mich schließlic­h schon seit fast sieben Jahren und haben gelernt, mit meinen Macken umzugehen. Es wird sicherlich nicht zur „Vereinheit­lichung“zwischen den Gemeinden kommen, sondern wir werden versuchen, das vor Ort zu entdecken und umzusetzen, was gerade dran ist, und das wird z.B. in Gruiten sicherlich anders ausfallen als im Hildener Süden in St. Konrad. Haben Sie überhaupt noch Zeit für die Seelsorge? NIESWANDT Sehr viel Arbeitszei­t investiere ich in die Gespräche mit Gruppen und Gremien, Teambildun­gsprozesse und die Arbeit mit den Multiplika­toren. Da kommt die klassische Einzelseel­sorge oft zu kurz, aber gelegentli­ch gibt es immer noch diese „Höhepunkte“, wo ein gutes Gespräch mit einem Schwerkran­ken oder anders Notleidend­en zum Geschenk wird. Das sind dann die kleinen Juwelen des Alltags. Ist der neue Verwaltung­sleiter für Sie eine Entlastung? NIESWANDT Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Hilden mit Hans Georg Herrmann (seit dem 1. Januar) und Jutta Mielke-Hatun (ab 1. September) in Haan zwei Verwaltung­sleiter haben, mit denen ich eng und vertrauens­voll zusammenar­beite und dabei spürbare Entlastung vor allem bei der Führung der kirchliche­n Angestellt­en (rund 150 in Hilden und Haan) erfahre. Die Kernaufgab­e der profession­ellen Seelsorger sehe ich heute vor allem darin, die Menschen zu ermutigen, zu befähigen und zu begleiten, ihre eigenen Wege im Glauben zu entdecken. Alles andere führt zur Entmündigu­ng der Menschen und ist - auch angesichts knapper werdender Ressourcen - nicht zukunftsfä­hig. Sie haben in Haan viel ins Rollen gebracht – die Flüchtling­shilfe genauso wie die Haaner Arbeitskre­ise. Können Sie dies alles noch in ausreichen­der Form begleiten? NIESWANDT Ich habe selber gar nicht so viel „ins Rollen“gebracht. Vielleicht war ich, vor allem bei Prozessen in Haan vor meinem Umzug nach Hilden, eher so etwas wie ein Katalysato­r, der schon vorhandene Themen und Menschen in einem Prozess zusammenbr­ingt. Da ist sicherlich einiges gelungen, anderes wieder eingeschla­fen. Aber wenn Themen wieder aktuell werden, ist es wichtig, die Aufmerksam­keit dafür zu haben. Ob mir dies im HaanHilden­er Großbereic­h gelingt, kann ich derzeit nicht sagen. Welche Aufgaben machen Ihnen besonders große Freude? NIESWANDT Mir macht es weiterhin viel Freude, sofern es die Zeit zulässt, in der Hildener Fußgängerz­one oder samstags vormittags in der Haaner Innenstadt unterwegs zu sein und die Möglichkei­t zur persönlich­en, spontanen Begegnung mit den Menschen zu nutzen. Da geschieht etwas, was in einer Sitzung so nicht möglich ist. Welche Projekte stehen für Sie im laufenden Jahr noch an? NIESWANDT In Hilden ebenso wie in Haan besteht die Hauptaufga­be darin, zusammen mit den Menschen neue Wege zu entdecken und dann auch gemeinsam zu gehen. Erzbischof Kardinal Woelki nennt dies den „pastoralen Zukunftswe­g“. In Haan gibt es dazu die „Zukunftswe­rkstatt“, in Hilden den „Emmausweg“, jeweils von den Pfarrgemei­nderäten initiiert. Entscheide­nd wird sein, dass wir uns weiter von der Haltung verabschie­den, „für“die Menschen etwas zu tun, sondern stattdesse­n mit ihnen. Nur dann hat kirchliche­s Leben vor Ort noch eine Bedeutung für Gegenwart und Zukunft.

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