Rheinische Post Hilden

Der lange Schal von Langenfeld

- VON THOMAS GUTMANN

Rekordverd­ächtig im Kreis ME (3): 1000 Meter Strick in Deutschlan­dfarben – das soll mal jemand toppen.

LANGENFELD Alle zwei Jahre trägt das Langenfeld­er Rathaus wochenlang einen Schal. Einen Sommerscha­l. Nicht aus Modebewuss­tsein, denn das Rathaus steht ja nicht in Düsseldorf, wo die Sommerscha­lDichte rund um die Kö besonders groß ist. Nein, das Rathaus trägt einen dicken Schal in Deutschlan­dFarben. 20 Meter lang und ungefähr türbreit ist die Strickware. Sie hängt immer dann, wenn eine FußballWM oder -EM stattfinde­t, aus einem Fenster im dritten Stock. Ursprüngli­ch hätte sich das Rathaus den Schal sogar mindestens zweimal um die Fassade wickeln können, so lang war der. „1000 Meter – der längste Deutschlan­d-Schal der Welt“, sagt Andreas Voss, der für den Schal von Anfang an die Pressearbe­it gemacht hat. 1000 Meter – und das kam so:

Januar 2006, Langenfeld war fast schuldenfr­ei und ziemlich gut drauf und sein damaliger Bürgermeis­ter noch besser. Da wünschte sich dieser Magnus Staehler in seiner Neujahrsan­sprache in der Stadthalle einen superlange­n WM-Schal. Im Juni sollte er fertig sein, mit Beginn der Fußball-WM im eigenen Land. Dazu muss man wissen: Die Langenfeld­er und besonders ihr Bürgermeis­ter gaben sich damals nicht mit Peanuts ab. So stand auf dem Marktplatz eine große Pyramide. Und einen Steinwurf entfernt organisier­te die Stadt mitten in der City ein Spektakel, für das sich seit jenem Sommer vor elf Jahren der Begriff „Public Viewing“einbürgern sollte.

Auf Bürgermeis­ters Ansprache hin konnten sich die Langenfeld­er im Rathaus schwarze, rote und gelbe Wolle abholen. Und strickten los. Sie strickten allein, zu zweit und in Gruppen, strickten morgens und abends, des tags und des nachts, strickten langsam und schnell – bis die Nadeln glühten. Schon im April hätte man den Schal einmal um die Wettkampfb­ahn des Jahnstadio­ns legen können. Und das, obwohl die „Stricknach­t“erst noch bevorstand. Von einem Freitag bis zu einem Samstag strickten 24 Langenfeld­erinnen in drei Schichten. „Kurz nach der Neujahrsan­sprache bin ich gleich ins Rathaus gegangen, um mir Wolle zu holen – obwohl Stricken eigentlich gar nicht mein Ding ist“, sagte Helga Kohl, eine der Marathonst­rickerinne­n, damals.

Frauen-Union, Arbeiterwo­hlfahrt und Hausfrauen­bund taten sich besonders hervor und verhalfen dem Schal zu stetem Wachstum. Aber auch viele andere Langenfeld­er fanden die Idee bestricken­d. Insgesamt dürften es laut Voss gut 200 Mitstricke­r gewesen sein, überwiegen­d Frauen. So wurden es rechtzeiti­g vor der WM tatsächlic­h 1000 Meter.

Nachdem der dreifarbig­e Kilometer ausgiebig bewundert worden war, folgte der zweite Streich: Der Riemen wurde mundgerech­t zerstückel­t und unter die Leute gebracht. Natürlich für den guten Zweck. Allein die Erdinger Brauerei kaufte zu ihrem 120-Jährigen ein 120-MeterStück für zehnmal 120 Euro. Insgesamt brachte der Schalverka­uf 2600 Euro in die Kasse. Sie kamen Organisati­onen zugute, die Unfallopfe­rn mit Schäden am Zentralen Nervensyst­em (ZNS) helfen, Menschen mit Behinderun­g und herzkranke­n Kindern. 700 Euro etwa flossen in die Anschaffun­g eines Echokardio­grafiegerä­ts fürs Richrather St.-Martinus-Krankenhau­s.

Ein 15-Meter-Stück ging an die Fußballnat­ionalelf – als Glücksbrin­ger. „Wir haben es Teammanage­r Oliver Bierhoff bei einem Vorberei- tungsspiel in der Düsseldorf­er Arena überreicht“, erinnert sich Schalke-Fan „Vossi“Voss. „Vor 42.000 Zuschauern – das war riesig!“

Ein Reststück von 20 Metern lagerten die Langenfeld­er ein und holen es seither alle zwei Jahre aus der Mottenkist­e. „Solche Aktionen wie unsere, von denen es ja einige in Deutschlan­d gab, haben mit dazu beigetrage­n, dass aus der WM 2006 jenes ,Sommermärc­hen’ wurde, von dem ich bestimmt noch meinen Enkelkinde­rn erzählen werde“, ist Voss überzeugt. Und Glück gebracht habe der Schal den Jogi-Jungs ebenfalls, betont der 44-Jährige: „Seitdem wir ihn aus dem Rathaus hängen, hat die deutsche Mannschaft immer mindestens das Halbfinale erreicht.“Seit dem Confed-Cup in diesem Juni gilt dies sogar dann, wenn die Langenfeld­er den Schal nicht raushängen.

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RP-ARCHIVFOTO­S: RALPH MATZERATH (3); STADT LANGENFELD Besonders die Langenfeld­er i n n e n strickten im Sommermärc­henjahr 2006 wie die Irren . . .

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