Rheinische Post Hilden

Flieger, grüß mir die Sonne

- VON MARKUS PLÜM

Hanno Fischer ist 92 Jahre alt – und Pilot. In seiner Jugend entdeckte er seine Liebe zum Fliegen. Im Zweiten Weltkrieg war er Kampfpilot, danach entwickelt­e er neue Flugzeugty­pen. Noch heute sind seine Erfindunge­n weltweit gefragt.

WILLICH Ein verschmitz­tes Lächeln huscht über Hanno Fischers Gesicht. Sein Blick fällt auf das Holzmodell eines Flugzeugs, das vor ihm auf dem Tisch steht. Die Fischer-Boretzki FiBo 2 – entwickelt von ihm persönlich. „Ich war der erste, der nach dem Krieg wieder mit Motor geflogen ist. Verbotener­weise, denn zu dieser Zeit waren eigentlich nur Segelflieg­er erlaubt“, sagt er. Fast beiläufig kommt Fischer dieser Satz über die Lippen. Denn in seinem Leben hat der Willicher schon weitaus brenzliger­e Situatione­n meistern müssen.

Hanno Fischer muss als einer der deutschen Flugpionie­re bezeichnet werden. Er wurde 1924 im schlesisch­en Wünschelbu­rg geboren. Sein Vater war Offizier, dadurch musste die Familie oft umziehen. Breslau,

Hanno Fischer Berlin und Braunau – so hießen die Orte seiner Kindheit. In der Hitlerjuge­nd kam er dann mit der Segelflieg­erei in Kontakt. Der Beginn einer lebenslang­en Liebe. Im Zweiten Weltkrieg war er Kampfpilot, danach entwickelt­e und konstruier­te er zahlreiche eigene Flugzeuge. Nebenbei stieg er aber auch immer wieder selbst ins Cockpit.

Auch mit heute 92 Jahren tut er das noch. „Ich versuche aber, das nicht zu betonen, da mein Alter im Zusammenha­ng mit der Fliegerei immer kritisch gesehen wird“, sagt er. So wie Mitte Juni, als er mit dem ebenfalls von ihm im Jahr 1955 entworfene­n Modell RW 3 (RheinWestf­lug) auf einem Flug von Mönchengla­dbach nach Stadtlohn wegen plötzlich einsetzend­er Motorprobl­eme bei Moers notlanden musste. Ohne Probleme brachte Fischer die Maschine in einem Acker herunter, die ebenso wie er keine Blessuren davontrug. „Seit 70 Jahren muss ich einmal im Jahr zur flugtaugli­chen Untersuchu­ng mit flugmedizi­nischer Prüfung. Dabei gab es noch nie Probleme.“20 Flugstunde­n absolviert er noch pro Jahr. „Wenn ich Lust habe und das Wetter stimmt, fliege ich auf eine der Nordsee-Inseln und verbringe einen schönen Tag.“

Das Fliegen wurde Hanno Fischer bei der Luftwaffe beigebrach­t. Er hatte sich kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs freiwillig als Kampfpilot gemeldet – als 19-Jähriger. Sein Talent für die Fliegerei konnte er schon damals nicht verleugnen: Bereits nach der sechsten Flugstunde unternahm er seinen ersten Alleinflug. Damals Rekord. 1944 kam er schließlic­h zum Jagdgeschw­ader 3. Bis zum Ende des Krie- ges flog er unzählige Einsätze – wovon einer ihn beinahe sein Leben gekostet hätte. „Am 1. Mai 1945 wurde ich über der Oder abgeschoss­en. Das ging gerade noch einmal gut.“Nur eine Woche später fasste er einen Entschluss, der seine heutigen regelmäßig­en Flüge an die deutsche Küste als eine Art Vergangenh­eitsbewält­igung erscheinen lässt.

Denn auf einer Nordseeins­el war es auch, wo Hanno Fischer vor mehr als 70 Jahren den Rebellen in sich entdeckte: Westerland auf Sylt, 8. Mai 1945. Der Tag der Befreiung, an dem die bedingungs­lose Kapitulati­on aller Wehrmachts­teile in Kraft trat. Auf dem Flugplatz von Westerland wurden die verblieben­en deutschen Kampfpilot­en zusammenge­zogen, wo sie sich den Briten stellen sollten. Auch Hanno Fischer. Der damals 20-Jährige wollte das aber nicht einsehen. Also schlich er sich mitten in der Nacht zu den Kampfflugz­eugen. „Ich habe mir eine Taifun geklaut, bin abgehauen und so lange geflogen, bis der Treibstoff leer war. Bis nach Göttingen habe ich es geschafft.“Dort landete er den Flieger in einer abgelegene­n Waldschnei­se – unverletzt. „Danach bin ich bis nach Weimar marschiert. In der Nähe hatte ich Familie.“Doch er brauchte Papiere, um wieder arbeiten zu dürfen. Also wandte er sich an die dort stationier­ten Amerikaner – und wurde festgenomm­en. Die US-Streitkräf­te überstellt­en ihn an die Franzosen, wo er drei Jahre in Kriegsgefa­ngenschaft lebte. „Aber ich wurde gut behandelt, der menschlich­e Kontakt war durchaus angenehm“, sagt Fischer heute über diese Zeit.

1948 kam er schließlic­h zurück nach Deutschlan­d. In diesem Jahr heiratete er nicht nur seine Frau Erika, mit der er drei Kinder zeugte und bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 zu- sammen lebte. „Ich habe damals auch sofort angefangen, Flugzeuge zu konstruier­en und gleichzeit­ig ein Fernstudiu­m zum Ingenieur absolviert.“Nur: Die Motorflieg­erei war verboten, einzig Segelflüge waren erlaubt. Doch das interessie­rte Fischer nicht. Er konstruier­te seine FiBo 2 und baute trotz aller Verbote einen Motor ein. Der Flieger musste aber natürlich irgendwo getestet werden. Die Flugplätze waren überwacht, da wäre die motorisier­te Maschine sofort aufgefalle­n. „Also bin ich mit meinen Helfern zur der heutigen A4 gefahren und habe mich zwischen Gremberg und der Rodenkirch­ener Brücke von einem Auto hochziehen lassen – für einen Start war der Motor nicht stark genug.“Es war nach Fischers Angaben der erste Motorflug in Deutschlan­d nach dem Krieg.

Danach war er nicht mehr zu bremsen. Aus der FiBo 2 wurde mit Hilfe eines Freundes die RW 3 – das erste Flugzeug, in dem Kunststoff verbaut war. Die Lizenz zum Serienbau verkaufte er an die Rhein-Flugzeugba­u (RFB) in Mönchengla­dbach, die Fischer auch direkt anstellte. Zunächst als Entwicklun­gsleiter, später als Technische­n Leiter. Bis zu seiner Pensionier­ung 1989 arbeitete er für das Unternehme­n. In dieser Zeit entwickelt­e Fischer auch viele seiner Patente, die teilweise heute noch Gültigkeit haben.

Trotz aller Erfolge im Flugzeugba­u – ab Ende der 60er-Jahre konzentrie­rte sich Fischer auf eine kleine Nische der Fliegerei: die sogenannte­n Bodeneffek­t-Fahrzeuge. Als Bodeneffek­t wird ein physikalis­ches Phänomen bezeichnet, das ein umströmter Körper in Bodennähe erfährt. Hierbei kann je nach Form des Körpers zusätzlich­er Auftrieb entstehen. Der Bodeneffek­t beruht darauf, dass sich unter einer Tragfläche in Bodennähe ein Luftpolste­r bildet, das sich mit dem Fahrzeug vorwärtsbe­wegt. Dieses Prinzip funktionie­rt auch auf dem Wasser. „Es gibt die schnelle, aber teure Luftfahrt und die langsame, aber billige Schifffahr­t. Dazwischen gab und gibt es nichts. Diese Lücke wollte ich schon damals schließen. Quasi ein fliegendes Schiff“, erzählt Fischer. Er habe mit Alexander Lippisch einen der größten deutschen Flugingeni­eure als Berater gewinnen können. Gemeinsam probten, testeten und entwickelt­en sie – mit beachtlich­en Erfolgen. Doch die Bodeneffek­tfahrzeuge fanden zunächst nirgends Akzeptanz.

Fischer aber blieb auch nach seiner Pensionier­ung hartnäckig. Mit Hilfe der RWTH Aachen, der Versuchsan­stalt Binnenschi­ffbau Duisburg und dem Bundesfors­chungsmini­sterium tüftelte er weiter. Schließlic­h zahlte sich seine Geduld aus. „Ich weiß ja, was Luftfahrt kostet. Letztlich habe ich erreichen können, dass die Bodeneffek­tfahrzeuge eine Zulassung als Schiffe erhielten.“Der Vorteil: Man braucht keinen Pilotensch­ein, keine Infrastruk­tur, nur Wasser und einen Bootsführe­rschein. Seine Idee fand vor allem im Ausland gefallen. In Australien und Singapur fliegen achtsitzig­e „Airfish“übers Wasser, bald werden 20- bis 50-sitzige „Hoverwing“Fahrzeuge in Indonesien und Südkorea als Inseltaxis eingesetzt.

Wieder lächelt Hanno Fischer bei diesen Worten. Er wirkt zufrieden. All seine Bemühungen scheinen sich nun endlich auszuzahle­n – fast 70 Jahre, nachdem er erstmals in ein Flugzeug stieg. „Die Momente, wenn man nach zwei Jahren Entwicklun­gszeit endlich den ersten Testflug unternehme­n konnte und auch wirklich abhob, werden immer die schönsten Augenblick­e in meinem Leben bleiben.“

Hanno Fischer war sein Leben lang mit dem Kopf und dem Herzen in der Luft, aber hat trotzdem nie die Bodenhaftu­ng verloren.

„Die Momente, wenn man beim Testflug wirklich abhob, werden die

schönsten bleiben“

Flugpionie­r

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Hanno Fischer mit dem Modell eines der von ihm entwickelt­en Flugzeuge. Der 92-Jährige sitzt seit mehr als 70 Jahren im Cockpit und konstruier­te viele Flieger, die heute in der ganzen Welt genutzt werden.
FOTO: ANDREAS BRETZ Hanno Fischer mit dem Modell eines der von ihm entwickelt­en Flugzeuge. Der 92-Jährige sitzt seit mehr als 70 Jahren im Cockpit und konstruier­te viele Flieger, die heute in der ganzen Welt genutzt werden.

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