Rheinische Post Hilden

Kassen kontra Inkontinen­z-Patienten

- VON DIRK NEUBAUER

Ein RP-Leser sieht sich bei der Pflege seiner Mutter im Stich gelassen. Er müsse immer mehr zuzahlen oder „minderwert­iges Material“akzeptiere­n. Die Verbrauche­rzentrale NRW hat einen Vorschlag.

HILDEN Theorie und Praxis liegen für Pflegende beim Thema Blasenschw­äche weit auseinande­r. Darauf weist RP-Leser Peter Kerkhoff (Name geändert, die Red.) hin. Der Hildener pflegt seine 91 Jahre alte Mutter und fühlt sich von seiner Krankenkas­se, der AOK Rheinland, im Stich gelassen. Sein Vorwurf: Statt der von der Mutter benötigten Vorlagen – absolut dicht, individuel­l angepasst und hautverträ­glich – bekommt er zu Krankenkas­sen-Bedingunge­n nur „minderwert­iges Material“. Und: Es finde sich in Hilden keine Apotheke mehr, die mit der AOK zu deren Bedingunge­n zusammenar­beiten wolle. Man werde auf den anonymen Versandhan­del verwiesen. Kerkhoff: „Der zwischen den Krankenkas­sen verabredet­e Standard des Inkontinen­zmaterials ist eine Farce.“

Mitte 2016 sei dieser Standard deutlich gesenkt worden, so der Leser. Er kauft seit jeher bessere Qualitäten für seine Mutter. Und bekommt dafür aktuell nur noch 20,90 Euro pro Monat erstattet. Bis Mitte 2016 lag dieser Betrag noch bei 41,73 Euro.

Die Euro-Fuchserei der Kassen läuft unter dem Stichwort „Die Gesundheit­skosten im Zaum halten“. Eine Apothekenm­itarbeiter­in, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte, bezeichnet das Vorgehen der Krankenkas­sen als „absurd“: „Anstatt den Inkonti- nenzpatien­ten qualitativ hochwertig­es Material zu erstatten, wird einfachste Qualität vorgeschri­eben. Um es anschaulic­h zu machen: einlagiges graues Toilettenp­apier statt vierlagige­s, weiches.“Dadurch bekämen zahlreiche Inkontinen­zpatienten offene Wunden, manche gar eine Pilzerkran­kung.

„Die Kosten der langwierig­en Behandlung dagegen werden dann wieder von den Kassen erstattet. Anstatt gleich ordentlich­e Vorlagen zu genehmigen.“Die AOK Rheinland sei da, nach Meinung dieser Apothekenm­itarbeiter­in, nicht schlechter oder besser als andere Krankenkas­sen. Überall werde am aufsaugend­en Inkontinen­zhilfen.“Am Ende werde lediglich der gesetzlich festgelegt­e Eigenantei­l fällig. Das sind zehn Prozent der monatliche­n Kosten für die Hilfsmitte­l, maximal aber 10 Euro. Und auch von diesen Kosten könne man sich befreien lassen.

Den Vorwurf eines „Knebelvert­rags“möchte die AOK-Sprecherin auch nicht im Raum stehen lassen. Es nähmen mehrere hundert Leistungse­rbringer an diesem Vertrag teil: „Unter diesen Vertragspa­rtnern hat unser Versichert­er die freie Vertragspa­rtnerwahl.“

Der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen sind solche Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen Krankenkas­sen auf der einen Seite und Patienten und Pflegenden auf der anderen Seite bekannt. Eben deshalb habe man auf geringfügi­ge Verbesseru­ngen zugunsten der Inkontinen­z-Patienten in diesem Jahr hingewiese­n.

Um den Konflikt um die Hilfsmitte­l bei Inkontinen­z dauerhaft zu lösen, empfehlen die Experten der Verbrauche­rzentrale ein Gespräch mit dem behandelnd­en Arzt: „Wenn der die bessere Qualität ausdrückli­ch verordnet, kann die Kasse diesen Einzelfall nochmals gesondert prüfen. Letztlich muss sie erstatten, was ausdrückli­ch auf der ärztlichen Verordnung steht.“Diesen mühevollen Weg aber scheuten zahlreiche Versichert­e und deren Angehörige. Vielleicht geht Peter Kerkhoff ihn ja.

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