Rheinische Post Hilden

Ohne Ausbildung zum Facharbeit­er

- VON THOMAS PETER

Die „Weiterbild­ungsinitia­tive Bergisches Land“hat Patrick Scali ermöglicht, sich zu qualifizie­ren.

ERKRATH Patrick Scali ist 33 Jahre alt und hat zehn Jahre lang bei Albert Bedachunge­n in Erkrath als Hilfskraft gearbeitet. Seit Ende April ist er endlich geprüfter Dachdecker-Geselle, obwohl er nie eine reguläre Ausbildung absolviert hat. Möglich gemacht hat das die „Weiterbild­ungsinitia­tive Bergisches Land“. Unter dem Motto „Weiterbild­en - Weiterkomm­en!“fördert der Zusammensc­hluss der Arbeitsage­nturen Bergisch Gladbach, Mettmann und Solingen-Wuppertal die Qualifizie­rung und Prüfung von erfahrenen Hilfsarbei­tern. Denn Patrick Scali ist kein Einzelfall.

Bei insgesamt rund 630.000 Beschäftig­en arbeiten im Bergischen Land über 100.000 Menschen ohne Ausbildung auf Helfernive­au (Agenturbez­irk Mettmann: 26.758). Obwohl sie oft erfahrene und zuverlässi­ge Kräfte sind, sind sie die ersten, die bei einem Stellenabb­au ihren Arbeitspla­tz verlieren würden. Doch auf der anderen Seite wäre eine höhere Qualifizie­rung gewünscht.

Der Wirtschaft­sstandort Bergisches Land kann nur zukunfts- und wettbewerb­sfähig sein, wenn genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Arbeitsage­ntur spricht außerdem von den Anforderun­gen einer „Arbeitswel­t 4.0“, in der durch Automatisi­erung und Digitalisi­erung viele Arbeitsplä­tze in Gefahr seien. Der Fachkräfte­mangel ergibt sich unter anderem aus der demografis­chen Entwicklun­g. In den nächsten zehn Jahren werden von den 630.000 Beschäftig­ten rund 120.000 aus Altersgrün­den aus dem Erwerbsleb­en ausscheide­n, während gleichzeit­ig die Zahl der Schulabgän­ger sinken wird.

Obwohl immer mehr Jugendlich­e die Schule mit dem Abitur verlas- sen, genügen sie immer weniger den Anforderun­gen der ausbildend­en Betriebe. Viele beginnen ein Studium, ohne es beenden zu können, Personal, das dem Handwerk verloren geht. Deshalb ist die Weiterbild­ung von erfahrenen Hilfsarbei­tern eine Win-win-Situation.

Die Gründe für Hilfstätig­keiten können vielseitig sein. Für Patrick Scali war Schule „nie so sein Ding“, jedenfalls damals. Als er vor acht Jahren zum ersten Mal Vater wurde, wollte er erst recht nicht auf 500 Euro Ausbildung­svergütung zu- rückfallen und blieb bei der Hilfsarbei­t. Dann kam 2016 mit der Weiterbild­ungsinitia­tive seine Chance. Wer mindestens fünf Jahre Berufserfa­hrung vorweisen kann, darf an einem viermonati­gen Intensivle­hrgang in Mayen teilnehmen. Dort lernt er die Theorie für die Gesellenpr­üfung der Handwerksk­ammer, während er den praktische­n Teil schon längst durch seine Tätigkeit drauf hat. Die offizielle Gesellenpr­üfung bestand Patrick Scali schließlic­h mit lauter Einsen und nur einer Zwei. „Ich habe aus mei- nen früheren Fehlern gelernt“sagt er heute. „Ich bin hingefalle­n und wieder aufgestand­en.“

Mit einem Berufsabsc­hluss ist Scali nun in einer viel stärkeren Position und kann, zum Beispiel, mehr Lohn fordern. Sein Chef, Dachdecker­meister Jörg Albert, ist stolz auf seinen Schützling und will ihn noch möglichst lange in seiner Firma halten. Wer weiß, vielleicht kann er in ihm einen möglichen Nachfolger heranziehe­n? „Bis zur Rente ist dieser Beruf nicht machbar“, weiß Jörg Albert.

„Ich habe 30 Jahre auf dem Bau gearbeitet und meine Knochen sind jetzt schon hin“. Danach könne man etwa im Vertrieb arbeiten oder als Berater für Photovolta­ik. „Wir bieten diese Weiterbild­ung für ganz viele Berufe an“, sagt Marcus Kowalczyk von der Agentur für Arbeit Mettmann. „Die Handwerksk­ammer hat maßgeschne­iderte Angebote für Menschen in dieser Situation, und wir stellen alleine dieses Jahr zehn Millionen Euro an Fördermitt­eln bereit“. Wie diese Chance bekommt, sollte sie nutzen.

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