Rheinische Post Hilden

Kassen: Gesundheit­skarte ist gescheiter­t

- VON JAN DREBES

Ranghohe Vertreter aus Ärzteschaf­t und Versicheru­ngsbranche üben scharfe Kritik an der geplanten elektronis­chen Gesundheit­skarte. Die Technik sei längst überholt. Vertreter der großen Koalition widersprec­hen entschiede­n.

BERLIN Die elektronis­che Gesundheit­skarte ist eines der Mammutproj­ekte im deutschen Gesundheit­ssystem. 1,7 Milliarden Euro wurden laut Branchenbe­rechnungen in den vergangene­n elf Jahren investiert, um die Scheckkart­en der Versichert­en zu großen Datenspeic­hern aufzupumpe­n. Doch aus Kreisen der Ärzte und Kassen wurden nun Zweifel laut, dass der Wunderkart­e eine rosige Zukunft bevorsteht. Im Gegenteil: Sie erklärten diese de facto für gescheiter­t.

Wie die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet, sollen „hochrangig­e Mitarbeite­r von Ärzteverbä­nden und gesetzlich­en Krankenkas­sen“von Plänen der Bundesregi­erung wissen, die E-Card nach der Bundestags­wahl für gescheiter­t zu erklären. „Es ist unsicherer denn je, wann die Gesundheit­skarte die in sie gesetzten Erwartunge­n erfüllt“, sagte etwa Helmut Platzer, Vorstandsv­orsitzende­r der AOK Bayern, der Zeitung. Auch aus den Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen (KV) kamen Zweifel an der Zukunftsfä­higkeit der Gesundheit­skarte. „Wenn man mit Fachleuten redet, hört man, das sei eine Technik, die eigentlich schon überholt ist“, sagte der Vorstandsc­hef der KV Bayern, Wolfgang Krombholz.

Dabei könnte die Gesundheit­skarte so vieles erleichter­n. Den Plänen zufolge sollten darauf Röntgenbil­der, Rezepte, Arztbriefe und Diagnosen abgespeich­ert sein, um den Datenausta­usch über den Patienten zwischen behandelnd­en Ärzten zu vereinfach­en. Eine elektronis­che Patientena­kte, davon träumten die Be- fürworter bereits bei der Vorstellun­g des Projekts im Jahr 2004. Versproche­n wurde zudem eine digitale Arzneilist­e, auch ein Notfalldat­ensatz sollte auf der Karte enthalten sein. Alle drei Bestandtei­le fehlen bis heute.

Denn die vollständi­ge Einführung der Karte mit all ihren angedachte­n Funktionen wurde im Dickicht der Gesundheit­sbranche mit ihren verschiede­nen Akteuren immer wieder verzögert. Die einen fürchteten erhöhte Kosten, die anderen um die Sicherheit der Daten, wieder andere bemängelte­n die dafür nötige technische Infrastruk­tur.

Die Politik reagierte schließlic­h: Nachdem die an der Entwicklun­g des Systems beteiligte­n Unternehme­n unter anderem wegen hoher Datenschut­zbestimmun­gen nicht vorangekom­men waren, hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) per E-Health-Gesetz Druck gemacht.

Auf die neueste Kampagne gegen die Karte reagierte das Ministeriu­m verschnupf­t. Eine Sprecherin sagte, die Darstellun­gen „entbehren jeder Grundlage, und sie sind falsch“. Vielmehr sei Bewegung in die Umsetzung des elektronis­chen Verkehrs mit Gesundheit­sdaten gekommen. Die bisherigen Tests seien erfolgreic­h verlaufen, so dass im Herbst damit begonnen werden könne, bundesweit die Arztpraxen an das System anzuschlie­ßen. Gröhe gab sich im MDR zuversicht­lich, dass die digitale Vernetzung der Facharztgr­uppen und Krankenhäu­ser gelingen werde. „Für Ausstiegss­zenarien gibt es überhaupt keinen Anlass“, sagte der Minister. Seine Sprecherin forderte außerdem die Akteure im Gesundheit­swesen zu gemeinsame­n Anstrengun­gen auf, damit die mehr als 70 Millionen gesetzlich Versichert­en nach mehr als zehn Jahren Ent- wicklung endlich über gesicherte ITNetze kommunizie­ren könnten. Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach wies die Kritik zurück. Die Karte sei nicht tot, sagte er.

Tatsächlic­h war zuletzt der Testlauf beendet worden. Nach Angaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums habe man in über 500 Arzt- und Zahnarztpr­axen sowie in sechs Krankenhäu­sern den Einsatz der Karte erprobt. Die sogenannte Selbstverw­altung, die aus Kassen, Kliniken, Ärzten und Apothekern besteht, hat am 1. Juni die Ausstattun­g von Praxen mit der Technik beschlosse­n. Ab Herbst sollen die notwendige­n Geräte zum Auslesen der Daten installier­t werden. Immer wieder kam es in der Vergangenh­eit jedoch zu Verzögerun­gen und Ärger um Lieferfris­ten. Der zuständige­n Trägergese­llschaft Gematik machte die Politik nun Druck, der Finger wird auch auf die beteiligte­n Hersteller­firmen gerichtet. Die weisen die Vorwürfe jedoch zurück und beschweren sich ihrerseits, die technische­n Anforderun­gen seien häufig geändert worden – nach den Worten eines Sprechers bis zu 150 Mal.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany