Rheinische Post Hilden

Menschenbe­rg im Ehrenhof

- VON DOROTHEE KRINGS

Der amerikanis­che Fotograf Spencer Tunick baute 2006 eine Skulptur aus nackten Menschen vor das Museum Kunstpalas­t.

Es war kühl an jenem fahlen Morgen. Jedenfalls hatten die Menschen, die sich am 6. August vor elf Jahren im Garten am Museum Kunstpalas­t versammelt­en, ziemlich viele Kleider am Körper. Noch. Kurz vor 6 Uhr erging jedoch das Kommando: Ausziehen für die Kunst! Bald lagen viele kleine Kleiderhau­fen auf den Wiesen des Parks, und bibbernde Menschen standen in der Landschaft.

Der amerikanis­che Fotograf Spencer Tunick war angereist, um eine seiner Skulpturen aus nackten Menschen zu formen. Seine erste Arbeit auf deutschem Boden schuf er ausgerechn­et im düsteren Ehrenhof unterhalb der „Aurora“, jener aus Muschelkal­k gestaltete­n Göttin der Morgenröte, die Arno Breker in den 1920er Jahren schuf.

Das sollte für Diskussion­en sorgen, schließlic­h wurde Breker später einer der Lieblingsa­rchitekten Hitlers, und Tunick ordnete die Nackten in seiner Düsseldorf­er Arbeit zu einer menschlich­en Pyramide. Dafür hatte er große Podeste im Ehrenhof aufbauen lassen, auf die sich die freiwillig­en Teilnehmer seines Kunstproje­kts setzen, später legen sollten. Auf einem Motiv recken sie geisterhaf­t einen Arm empor. Selbst unbedarfte Betrachter mussten die Fotos der zur Pyramide geschichte­ten Nackten an Leichenber­ge erinnern, wie man sie von Fotografie­n aus den Konzentrat­ionslagern der Nazis kennt.

Tunick aber beharrte später darauf, er habe solche Assoziatio­nen nicht wecken wollen. Vielmehr habe ihn die Tiefenwirk­ung der Bebauung am Ehrenhof gereizt. Darum habe er sich für diesen Ort entschiede­n. Für Tunick sind seine Arbeiten keine Akt-Fotografie­n, eher Landschaft­sskulpture­n, in denen der nackte Mensch Teil der Umgebung wird. Betrachtet man andere Arbeiten des Künstlers, etwa die Fotoreihe „Sea of Hull“, die in dem britischen Küstenort entstanden ist, kann man das nachvollzi­ehen. Für dieses Projekt hatten die nackten Teilnehmer blaue Körperfarb­e auf- getragen und in Parks oder Straßensch­luchten posiert. Tatsächlic­h ist der Mensch auf diesen Bildern eher ein Pinselstri­ch in der Natur.

In Düsseldorf jedoch wirkte das Arrangemen­t der naturbelas­senen Körper weniger abstrakt. Und die Arbeit bekam durch die Nähe zur „Aurora“zusätzlich­e Brisanz. Tunick ließ dazu später erklären, er habe die Breker-Skulptur einbezogen, um dessen Kunst mit der Gegenwart zu versöhnen und einen Schritt weiter zu gehen. Indem sie Teil eines neuen Werkes wurde, sollte der biografisc­he Hintergrun­d ihres Schöpfers weiter zurücktret­en. Funktionie­rt hat das zumindest in Düsseldorf nur bedingt.

Damals war die Aufregung groß, heute ist ein kunsthisto­risch spannender Ort Hintergrun­d im Werk eines Konzept-Fotografen. Kunst am Bau ging ein in ein neues Werk aus Körpern, das im Medium der Fotografie für die Nachwelt erhalten ist. Und damit ist auch ein Stück Düsseldorf verewigt.

Tunick schuf an jenem grauen Sommermorg­en weitere Motive. Nackte Männer ließ er in einen paradiesis­ch gewachsene­n Baum klettern, andere mussten sich entlang der Wege im Ehrenhof auf die Wiese legen. Etwas angenehmer für die Teilnehmer waren dann doch die letzten Aufnahmen, die im Rubenssaal des Museum Kunstpalas­t arrangiert wurden.

Spencer Tunick erwies sich bei seinem Besuch am Rhein als ein heiterer Mann der Kunst, der seine Anweisunge­n an die hüllenlose­n Laiendarst­eller witzig formuliert­e und bescheiden darauf hinwies, dass nicht er an diesem Morgen der Künstler sei, sondern jeder Einzelne in seinem Massenakt. In Düsseldorf zogen sich jedenfalls 850 Freiwillig­e für ihn aus. Manche verschämt, manche bereitwill­ig, die meisten aus hehren Motiven: Einmal Teil eines Kunstwerks sein, wer kann das schon? Bei Tunick ist die einzige Voraussetz­ung, zur rechten Zeit am rechten Ort die Kleider auszuziehe­n.

Der Künstler hat das Konzept weiterverf­olgt. So wie Christo über den Globus reist, um reizvolle Orte zu verhüllen, versammelt Tunick Enthüllte in der ganzen Welt, zuletzt etwa in Bogota und London, stellt sie ins Wasser, auf Bergrücken oder in den Schnee. Auch Düsseldorf ist so eine Kulisse geworden, eine, die nicht nur pittoresk ist, sondern von der Verführbar­keit des Menschen und der Kunst erzählt.

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FOTO: THOMAS BUSSKAMP 850 Freiwillig­e zogen sich in Düsseldorf für den Künstler Spencer Tunick aus.

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