Rheinische Post Hilden

Das Smartphone weiß, wo Oma ist

- VON TANJA KARRASCH

Zu wenig Personal, immer mehr Alte – die Pflegebran­che hat ein Problem. Sind digitale Helfer die Lösung?

DÜSSELDORF Die Bowling-Kugel f litzt über die glatte Bahn, trifft den ersten Pin im perfekten Winkel – „Strike“. Immer dienstags treffen sich die Bewohner des Malteserst­ifts St. Johannes in Duisburg zum Bowling. Seit Beginn des Jahres steht den Senioren dafür das Videospiel „Memore“zur Verfügung. Für das perfekte virtuelle Wurfergebn­is brauchen sie zwar einen festen Wurf, aber keine echte Bowlingkug­el, denn die Bewegungen der Spieler werden direkt auf dem Fernsehbil­dschirm umgesetzt. Hausleiter Peter Kamp freut sich über die Anschaffun­g der Spielekons­ole: „Die Bewohner haben großen Spaß an den Spielen.“

Während Ärzte und Krankenkas­sen die elektronis­che Gesundheit­skarte zuletzt für gescheiter­t erklärten, ist die „Memore-Box” ein Beispiel dafür, wie nützlich die Digitalisi­erung (in diesem Fall in der Pflege) sein kann. Denn die Videospiel­e unterhalte­n nicht nur, sie haben laut Hersteller, dem Berliner Start-up „Retrobrain“, auch einen therapeuti­schen Nutzen. So soll der Motorradpa­rcours beispielsw­eise der Sturzpräve­ntion dienen. Und weil gleichzeit­ig die kognitive Leistungsf­ähigkeit stimuliert wird, sei Memore besonders für Demenzkran­ke geeignet, sagt Geschäftsf­ührer Manouchehr Shamsrizi. 35 Memore-Boxen werden aktuell an Pflegeeinr­ichtungen in Deutschlan­d vermietet.

Die Pflegebran­che hat unterstütz­ende Technik dringend nötig: Durch den demografis­chen Wandel steigt die Zahl der Älteren und Pflegebedü­rftigen, gleichzeit­ig herrscht Pfleger-Mangel. Fast die Hälfte der Pflegebedü­rftigen wird allein von Angehörige­n versorgt. In den kommenden Jahren wird sich das Problem verschärfe­n: Die Zahl der Pflegebedü­rftigen lag 2015 noch bei 2,9 Millionen, das Statistisc­he Bundesamt prognostiz­iert, dass 2050 rund 4,5 Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein werden.

Wie sollen all diese Menschen künftig versorgt werden? So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden mit ambulanter Betreuung, sagen Experten. Im besten Fall wird älteren Menschen dadurch ein eigenständ­iges Leben mit doppeltem Boden ermöglicht. Technische Hilfen, die im Alltag unterstütz­en und im Notfall automatisc­h Hilfe rufen, gibt es bereits einige: Teppiche, die im Falle eines Sturzes einen Notruf aussenden. Kartenscha­lter an Eingangstü­ren, die beim Verlassen der Wohnung alle elektrisch­en Geräte ausschalte­n. Bewegungss­ensoren, die Pfleger alarmieren, wenn in einer Wohnung über einen längeren Zeitraum keine Bewegung gemessen wird.

Doch auch außerhalb der Wohnung sollen Senioren sich sicher bewegen können. Vor allem für Menschen mit Demenz kann plötzliche Orientieru­ngslosigke­it zur Gefahr werden. Mehr als jeder dritte Pflegebedü­rftige in Deutschlan­d leidet an

Karl-Josef Laumann dieser Krankheit. In Baden-Württember­g befindet sich zurzeit das Projekt „Quartrback“in der Testphase, durch das demenzfreu­ndliche Quartiere geschaffen werden sollen. Betroffene können dabei in Zukunft Armbanduhr­en mit einem unauffälli­gem integriert­en Ortungssys­tem tragen und sich frei im gewohnten sozialen Umfeld bewegen: beispielsw­eise den Weg zum Bäcker oder zum Supermarkt weiterhin alleine zurücklege­n. Befinden sie sich aber in einer hilflosen Situation – haben sich beispielsw­eise verlaufen – könnte mit nur einem Knopfdruck ein Notruf ausgesende­t werden. Im Hintergrun­d steht ein Netz von Angehörige­n, profession­ellen Pflegekräf­ten und ehrenamtli­chen Helfern, bei denen dieser Hilferuf in einer App landet.

Ist das digitale Überwachun­g? Beruhigung von Helikopter-Kindern auf Kosten der Selbstbest­immung ihrer erkrankten Eltern? Oder ermöglicht es zusätzlich­e gute Jahre trotz Demenz?

NRW-Gesundheit­sminister KarlJosef Laumann will die Chancen der neuen Technik nutzen: „Informatio­nen können zum Beispiel schneller zur Verfügung gestellt und ausgetausc­ht werden. Eine gute Kommunikat­ion zwischen den verschiede­nen Akteuren des Gesundheit­sund Pflegesyst­ems trägt zur Entlastung der Pflegekräf­te bei und spart Zeit, die den Pflegenden und den Pflegekräf­ten zugute kommen muss“, sagt der CDU-Politiker.

Letztlich sei vor allem wichtig, dass digitale Lösungen denjenigen nutzten, die im Mittelpunk­t der Versorgung stünden und sie im Ergebnis über ihre Beiträge finanziert­en – den Versichert­en. „Deshalb: Die Vorzüge müssen bei den Menschen ganz konkret ankommen und dürfen nicht dazu genutzt werden, beispielsw­eise Personal abzubauen“, sagt Laumann: „Denn eines kann die Digitalisi­erung sicherlich nicht: menschlich­e Zuwendung ersetzen.“

Das sieht auch Elimar Brandt, Vorsitzend­er der PflegeZuku­nftsInitia­tive, so. Er betont zwar, dass insbesonde­re die Dokumentat­ion in Pflegeeinr­ichtungen digitalisi­ert werden könne, sagt jedoch auch: „Wo es ans Sterben geht, oder um Kummer, weil mein Sohn mich wochenlang nicht besucht hat, da muss ein Mensch her, der mich an der Hand nimmt und mich tröstet.“

„Die Digitalisi­erung er- setzt keine menschlich­e

Zuwendung“

NRW-Gesundheit­sminister

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