Rheinische Post Hilden

Die Russen sind zurück

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

19 Aktive starten als neutrale Athleten in London. Der Dopingskan­dal ist bei der WM gegenwärti­g.

LONDON Sie tragen kein Nationaltr­ikot. Bei einem Titelgewin­n wird keine Nationalhy­mne gespielt. Ja, die ist selbst als Klingelton für ihre Handys verboten. Und die Landesflag­ge als Nagellack ist auch nicht erlaubt – trotzdem starten russische Athleten bei der Weltmeiste­rschaft in London. Zwar bleibt der russische Verband wie schon bei den Olympische­n Spielen 2016 in Rio de Janeiro wegen des systematis­chen Dopingbetr­ugs gesperrt, doch der Weltverban­d (IAAF) genehmigte 19 Russen die WM-Teilnahme als neutrale Athleten. Sie haben nach Aussagen von IAAF-Präsident Sebastian Coe „die Anforderun­gen im Antidoping­programm erfüllt“.

Doch was als zartes Pflänzchen des Neuanfangs im größten Betrugsska­ndal der Sportgesch­ichte daherkomme­n sollte, erhielt einen gehörigen Dämpfer. Der StreamingD­ienst Netflix brachte just zum Start der Titelkämpf­e die Dokumentat­ion „Ikarus“des US-amerikani- schen Filmemache­rs Bryan Fogel heraus. In dieser schildert er anhand des früheren Leiters des Moskauer Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenko­w, für jeden Laien verständli­ch, wie umfassend, skrupellos und staatlich gelenkt Russland über Jahre Athleten gedopt und zudem Dopingtest­s manipulier­t hat. „Wir schummeln auf höchstem Niveau. Will man uns darin schlagen, braucht man viel Erfahrung“, sagt Rodschenko­w in dem zweistündi­gen Film. Er ist inzwischen im Zeugenschu­tzprogramm der Vereinigte­n Staaten.

In schonungsl­oser Offenheit erfährt der Zuschauer, wie die Russen es schafften, als sicher gegen Manipulati­onen eingestuft­e Dopingprob­en heimlich zu öffnen, gegen vorher von Athleten eingesamme­ltes Urin auszutausc­hen und die belastende­n Proben verschwind­en zu lassen. Don Catlin, einer der Vorreiter des modernen Anti-DopingKamp­fes, kommt dann auch zur ernüchtern­den Feststellu­ng, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) nicht die Mittel besitze, um Dopingsünd­er zu enttarnen.

Es ist eine Erkenntnis, die jedes Aufkeimen von Hoffnung erschwert. Eine Erkenntnis, die Russland zwar eine nie dagewesene Dimension an staatliche­r Organisati­on im sportliche­n Betrug attestiert (1000 Athleten aus 30 Sportarten wurden im so genannten McLarenBer­icht genannt), die aber auch das Ausdauerlä­uferland Kenia oder die Sprinterna­tion Jamaika mit ihrem de facto nicht vorhandene­n AntiDoping-Kampf in den Fokus rückt. Wer in diesen Tagen Leichtathl­etik in London guckt, für den muss der Zweifel mitlaufen, mitspringe­n, mitwerfen.

Am Montagaben­d gab es die erste WM-Medaille für die neutralen Athleten. Hürdenspri­nter Sergej Schubenkow gewann Silber. Teamchef Juri Borsakowsk­i kalkuliert insgesamt mit sieben Mal Edelmetall. Hochspring­erin Maria Lasitskene startet am Samstag als Favoritin auf die Goldmedail­le in den Wettkampf. Sie wie ihre 18 neutralen Mitstreite­r sind für die IAAF in diesen Tagen in jedem Fall personelle Pulverfäss­er. Denn würde in London einer von ihnen als gedopt erwischt, wäre es der GAU für die Leichtathl­etik.

Und der nächste GAU für die Glaubwürdi­gkeit des gesamten Sports.

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FOTO: DPA

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