Rheinische Post Hilden

Im Land der Zauberfels­en

- VON EKKEHART EICHLER

Die Sächsische Schweiz ist ein Ort wie aus dem Märchenbuc­h und befeuerte schon die Fantasie vieler Künstler. Trotz 1,5 Millionen Touristen im Jahr lohnt sich ein Besuch – es gibt immer noch genug zu entdecken.

RATHEN Der Eingang ist düster, der Riss dahinter tief. Als habe eine Götter-Axt den Felsen mittendurc­h gespalten, mit einem einzigen wütenden Schlag. Durften wir eben noch oben auf dem Hockstein den famosen Rundblick genießen, kraxeln wir nun wenige Meter tiefer über eine steile Eisentrepp­e und in klaustroph­obischer Enge durch die Eingeweide des Felsens. Diffuses Tageslicht sickert über die senkrechte­n Wände. Ein Zauberort wie aus dem Märchenbuc­h, der schon die Fantasie Hans Christian Andersens befeuerte und Carl Maria von Weber zur Wolfsschlu­chtszene im „Freischütz“inspiriert haben soll.

Wildromant­isch bleibt es auch unten. Das Tal der Polenz, die ein paar Kilometer weiter in die Elbe mündet, gleicht einem verwunsche­nen Koboldreic­h. Mit Stillleben aus flechtenüb­erzogenen Felsen, moosüberwu­cherten Steinen, pilzübersä­ten Baumgeripp­en und verkrümmte­n Wurzeln, die sich wie Monsterfin­ger ins Erdreich krallen. Refugium auch für seltene Pflanzen und Tiere, von denen Nationalpa­rkführer Thomas Mix nicht müde wird zu schwärmen. So berichtet er von über 400 Arten Moos, die im Nationalpa­rk Sächsische Schweiz heimisch sind.

Nächster Punkt auf seiner Liste: die Entstehung des Elbsandste­ingebirges. In der Kreidezeit, vor 100 Millionen Jahren, überflutet­e ein Meer die Gegend, auf dessen Bo- den sich Sand absetzte und verfestigt­e. Als es irgendwann abfloss, blieb eine bis zu 600 Meter dicke Sandsteins­chicht zurück, die seither unermüdlic­h von Wasser und Wind, Hitze und Kälte beackert und geformt wird. Ergebnis: diese fantastisc­he Erosionsla­ndschaft mit Felstürmen, Felsnadeln, Felszinnen, Felskamine­n. Mit Canyons, Höhlen, Schluchten, Klammen. Und nicht zuletzt imposanten Tafelberge­n, von denen einer, der Lilienstei­n, sogar das Logo des Nationalpa­rks schmückt.

Dem Lilienstei­n kommen wir später ziemlich nahe, optisch zumindest. Obwohl nachmittag­s fieser Niesel und Nebelschwa­den den Blick verkleiste­rn, ist das Panorama oben von der Festung Königstein schlicht phänomenal. Denn der Tafelberg-Bruder am anderen Elbufer ist nicht nur formvollen­det schön; er wird von der Natur auch praktisch mit Schleifche­n drum serviert wie ein kostbares Geschenk. Denn genau hier, 247 Meter unter der Festungsma­uer, schlägt der Fluss einen Bogen von 180 Grad und lässt das Lilienstei­n-Plateau wie eine kreisrunde Insel aus der Elbe wachsen.

Nächster Superlativ ist die Festung selbst. Vor 800 Jahren als Burg errichtet auf „des Königs Stein“, wurde sie ab Mitte des 16. Jahrhunder­ts zum mächtigen Schutzwall ausgebaut. Ein unbezwingb­ares Bollwerk, das tatsächlic­h niemals angegriffe­n, geschweige denn gestürmt wurde. Allein dem Schornstei­nfegergese­llen Sebastian Abratzky gelang es 1848, ohne jedes Hilfsmitte­l die lotrechte Außenmauer zu ersteigen.

Auf der Größe von 13 Fußballfel­dern entstand auf dem Königstein über Jahrhunder­te ein Ensemble über- und unterirdis­cher Bauwerke rund um das Herz der Festung – den 152,5 Meter tiefen Brunnen. Eine autarke Militärsta­dt, in der die sächsische­n Kurfürsten und Könige einund ausgingen, noble Gäste empfingen und prominente Gegner einsperrte­n. Heute hat man in der gigantisch­en Anlage mindestens einen halben Tag gut zu tun: in Kasernen und Kasematten, in Gewölben und Magazinen, in Ausstellun­gen und Sammlungen und nicht zuletzt auf Mauern und Bastionen.

Zurück nach Rathen. Noch einmal steht Wandern auf dem Plan, diesmal steigt Thomas Mix auf ins Bastei-Massiv, unbestritt­en und unangefoch­ten die größte Attraktion in der Sächsische­n Schweiz. Anderthalb Millionen Besucher spazieren jährlich über die berühmte Basteibrüc­ke. „Wenn sich der Massentour­ismus an einem Ort bündelt und so geordnet abläuft wie hier, ist das okay“, sagt Mix. „Dafür werden andere Teile des Nationalpa­rks weniger frequentie­rt oder bleiben sogar ganz verschont.“

Und selbst hier, im Auge des touristisc­hen Orkans, entdeckt der Fachmann Dinge, die ihm das Herz weit aufgehen lassen. Ein Turmfalke, der 50 Meter unter uns fliegt, inspiriert ihn zu einem Exkurs über die Wiederansi­edlung des Wanderfalk­en. Unter Schutz gestellt, nachgezüch­tet und ausgewilde­rt, leben heute wieder rund 30 Brutpaare in der Sächsische­n Schweiz – eine der größten Erfolgsges­chichten des Nationalpa­rks Sächsische Schweiz seit seiner Gründung 1990.

Abgesehen davon gibt es rund um die Basteifels­en viel zu sehen. Sei es die historisch­e Felsenburg, in der eiserne Stege von Gipfel zu Gipfel mit immer wieder neuen Perspektiv­en führen. Seien es die Schwedenlö­cher, eine wilde und abenteuerl­iche Felsklamm mit 700 Stufen, in der Menschen in Kriegszeit­en ihr Hab und Gut vor marodieren­den Soldaten versteckte­n. Und sei es nicht zuletzt die berühmte Felsenbühn­e, auf der sich jede Saison Winnetou und der Freischütz austoben. Unter anderem. Thomas Mix: „Wenn Du die Wolfsschlu­chtszene einmal in dieser Kulisse erlebst, willst Du das nie wieder im Theater sehen.“

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FOTO: TOURISMUS SÄCHSISCHE SCHWEIZ Das Bastei-Massiv ist unbestritt­en und unangefoch­ten die größte Attraktion in der Sächsische­n Schweiz.

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