Fährmann mit feinem Händchen
Morgens um halb sieben läutet Wilfried Mauel dreimal die Glocke, murmelt „In Gottes Namen“, dann legt der Kapitän mit der „Mondorf “ab vom Mondorfer Rheinufer in Richtung Bonn. Die Überfahrt dauert nur Minuten.
BONN Nur 350 Meter hin, 350 Meter zurück – „aber immer volle Konzentration“, sagt der Kapitän, dreht an beiden Steuerrädern und gibt Gas, zündet sich eine John Player an, hat ein Auge auf Autos, Fahrräder, Fußgänger und Binnenschiffer. Sein Blick schweift über den Yachthafen, die Halbinsel und die Siegmündung bis zum Siebengebirge. Über dem Fluss hängt noch Dunst. „So schön ist es doch nirgendwo.“
Wilfried Mauel lässt die „Mondorf“tanzen, die Schottel sorgen für Beweglichkeit. „In 14 Sekunden kann ich sie um 360 Grad drehen.“Dafür ist jetzt keine Zeit, es herrscht Hochbetrieb. Er stellt die Fähre längs zum Ufer auf, als Zeichen, dass er den Containerkähnen und Ausflugspötten Vorfahrt gewährt. Griff zum Hörer, er funkt die „Anja“an, die ihren Liegeplatz neben der Fähre in der Zufahrt zum Yachthafen hat, und fragt in kölschem Singsang: „Fährste wigger?“
Würde er gern tauschen mit den Kollegen? Der 62Jährige winkt ab. „Geradeaus fahren kann doch jeder.“Quer über den Fluss hingegen, daran seien schon erfahrene Kapitäne gescheitert. „Der Schottel ist das Problem.“Die beiden diagonalen, mit einer Kardanwelle verbundenen Antriebe ermöglichen schnelle Manöver des 37,35 Meter langen und 9,50 Meter breiten Schiffs, erfordern aber ein sensibles Händchen. Bis auf eine kleine Kollision, als die Fährklappe gegen ein anderes Schiff ratschte, sei ihm in all den 17 Jahren noch nichts pas- siert, sagt der gelernte Betriebsschlosser. Etliche Passagiere winken ihm zu. Wer sich einmal den Wind hat um die Nase wehen lassen, kommt meist wieder. „Ich kenne 70 bis 80 Prozent der Gäste“, sagt Mauel. Rheinkilometer 660 zieht die Massen an und hat auch einiges zu bieten. Auf Mondorfer Seite einen großen Spielplatz, Cafes, Restaurants, einen Biergarten, Minigolfplatz und 20 Eissorten bei „Da Immacolata“. Picknickplätze, Fahrradwege, Spaziergänge unter mächtigen Pappeln. Prächtige Villen mit Mastbäumen im Vorgarten. Auf der anderen Seite schweift der Blick über Felder, der Graurheindorfer Fährpavillon hat noch zu. Alte Männer blicken auf
Fährmann Wilfried Mauel den Fluss. Einmal im Jahr würden sie die Fähre nehmen, zur Kirmes: „Das ist für uns wie Ausland.“Der Kapitän kann das nachfühlen: „Der Rhein, das ist die Grenze.“
Dabei gibt’s die Fährverbindung schon seit Jahrhunderten. Und fast ebenso lange war sie in Familienbesitz. Vor etwa 1270 Jahren rettete ein Mondorfer Fischer den Sohn eines Landesherren vor dem Ertrinken, und der Vater verlieh aus Dankbarkeit dem Retter das vererbbare Fährrecht. Anfangs wurden Personen und Güter in hölzernen Nachen gerudert und gesegelt, doch im Zuge der Industrialisierung verkehrten bald die ersten Motorfähren. Auch die Brückenschläge in den 1960er und 1970er Jahren überlebte die Mondorfer Fähre – dank privater, wechselnder Investoren. Ein Kraftakt. „Ich habe schon drei Chefs erlebt“, erzählt Mauel, der 1994 als Kassierer einstieg. Damals arbeitete er tagsüber bei der Degussa, nach Feierabend und am Wochenende auf der Fähre. „Nach sechs Jahren meinte mein Chef, ich sollte doch das Fährpatent machen.“Dazu das Funk- und das Radarpatent. Seit 2006 läuft die Verbindung unter Regie der Lux-Werft, die die 1958 erbaute „Mondorf“generalüberholte. Und ihr eine eigene , liebevoll gestaltete Internetseite gewidmet hat.
Ein Stammgast erklimmt die Treppe zur Kapitänskabine. Kurzer Wortwechsel, in dreieinhalb Minuten legt Mauel wieder an. Einmal in der Woche besucht André Plet Verwandtschaft, „da unten angelt mein Schwiegervater“. Plet berichtet vom letzten kapitalen Fang, „ein Wels, neun Kilo“. Mauel zückt sein Smartphone, zeigt ein Foto, Mann mit Riesen-Koi. „Mein Werft-Kollege“, sagt Mauel und schüttelt den Kopf, „hat den Zierfisch wieder reingesetzt. Der war bestimmt Tausende wert.“Fischt er? „Ist mir zu langweilig.“Die nächste John Player. Am Rhein ist er geboren, dort hat er geheiratet, ist Vater von vier Kindern geworden. Mauel ist geschieden, „schon seit 21 Jahren“. Der Fluss lässt ihn nicht los. „Ich muss den Rhein einmal am Tag sehen.“Irgendwann muss Schluss sein, „wenn die Firma mich braucht, mach’ ich weiter als Rentner auf 450-Euro-Basis“, sagt der 62-Jährige. Die nächste Generation ist schon am Start: Sohn Marcel jobbt als Kassierer.
„Ich muss den Rhein einmal
am Tag sehen“