Rheinische Post Hilden

Fasziniere­nd: Europas größtes Kalkwerk

- VON GÜNTER TEWES

In Flandersba­ch ist alles eine Nummer riesiger. Das entdeckten die Teilnehmer des RP-Sommerspaß­es bei ihrer Exkursion.

WÜLFRATH Sicherheit geht vor im größten Kalkwerk Europas. Jedenfalls werden die Teilnehmer des RPSommersp­aßes bei ihrer Exkursion gestern Vormittag im Paul-Ludowigs-Haus zunächst mit Helm, gelber Warnweste und Schutzbril­le ausgestatt­et. Immerhin steuert der Bus mit der 35-köpfigen Besuchsgru­ppe gleich in den riesigen Steinbruch Flandersba­ch, der 230 Meter in die Tiefe reicht. Und es werden unterwegs gewaltige Maschinen vorbeifahr­en. Die Muldenkipp­er, „Skw“genannt, wiegen gut 100 Tonnen, sind sechs Meter hoch und 1000 PS stark.

Normalerwe­ise sind die Kalkwerke Wülfrath für die Öffentlich­keit nicht zugänglich. In Zusammenar­beit mit der Firma Lhoist haben wir bei unserem RP-Sommerspaß die Besichtigu­ng für Schulkinde­r der zweiten bis sechsten Klassen, begleitet von Eltern und Großeltern, ermöglicht. Die freudige Spannung ist beim Einstieg in den Bus spürbar. „Gerade für Kinder sind das überwältig­ende Eindrücke, die einem so häufig nicht geboten werden“, sagt Robert Buchem, der seinen Sohn Carlo (11) begleitet. „Vor 63 Millionen Jahren sind die Dinosaurie­r ausgestorb­en. Der Kalkstein, der hier abgebaut wird, ist vor circa 370 Millionen Jahren entstanden“, erklärt Bernd Becks. Damals lag das Bergische Land noch auf dem Grund des Ozeans, wo sich die Überreste von Korallen und Muscheln ansammelte­n. 49 Jahre hat der gelernte Chemiker in den Kalkwerken gearbeitet, gibt sein Wissen nun bei Führungen weiter.

Jetzt passiert der Bus die kleinere, südliche Grube, die bereits wieder aufgefüllt wird. Schon hier bietet sich ein imposanter Blick. Ein riesiger Krater, umsäumt von einer Hü- gellandsch­aft. Rampen umschlänge­ln die Hänge sowie Wirtschaft­swege – und im Tal ein überdachte­s Förderband. 415 Mitarbeite­r hat das Werk Flandersba­ch des belgischen Unternehme­ns Lhoist, zudem circa 200 in der Hauptverwa­ltung. Zwischen 20.000 und 30.000 Tonnen Kalkgestei­n werden täglich gefördert. „Ohne Kalk keine Stahlprodu­ktion“, erklärt Becks. Die Hälfte der Produktion geht in die Stahlindus­trie. Geliefert wird auch in die chemische Industrie und in die Bauwirtsch­aft. 20 Prozent, so Becks, gehen in den Umweltschu­tz. Kalk hat schadstoff­bindende Eigenschaf­ten.

Immer tiefer fährt der Bus in den Tagebau hinein, muss zwei voll beladene Muldenkipp­er passieren lassen – gegen die der Bus geradezu zierlich wirkt. Im Wülfrather Kalkwerk Flandersba­ch ist eben alles eine Nummer größer. Auch die Brechanlag­e des Gesteins, in der die „Skws“ihre schwere Fracht schütten, und die in der Stunde bis zu 4000 Tonnen Kalkstein zerkleiner­n kann. Problem: Im Schüttgut befinden sich auch Lehm und Ton. Dies muss in der Waschanlag­e herausgetr­ennt werden.

Auf einem Plateau am Südhang des Steinbruch­s Flandersba­ch stoppt der Bus. Die Exkursions­teilnehmer steigen aus, erleben ein beeindruck­endes Panorama. Über 200 Meter steile Wände, unterteilt in 20 Meter hohe Sohlen, nahezu einen Kilometer im Durchmesse­r. Von hier aus ist die Sprengung zu erleben. Leider ist nicht zu erkennen, wie bis zu 15 Tonnen Gestein wie eine Lawine zu Boden rutschen. Diesmal wird auf der tiefsten Sohle gesprengt, nicht einsehbar von der Sicherheit­sposition der Besucher aus. Gleichwohl erschallt ein dumpfer Knall, eine 50 Meter hohe Rauchwolke schießt wie eine Wasserfont­äne in die Höhe. „Das ist etwas Besonderes“, erläutert Bernd Becks. Nach den Regenfälle­n der vergangene­n Tage musste diesmal im Wasser gesprengt werden.

„Bagger und Muldenkipp­er sind viel größer, als ich es mir vorgestell­t habe.“Der siebenjähr­ige Nico, begleitet von seinem Opa Werner Küper, ist beeindruck­t. Der Besichtigu­ngsparcour­s führt am neuen Steinbruch Silberberg vorbei zur Verarbeitu­ngsanlage. Die gewaltigen Schachtöfe­n können pro Tag bis zu 3000 Tonnen Brandkalk erzeugen. Drehöfen, die bis zu 1200 Grad heiß werden, erzeugen auf Voll-Last täglich noch einmal 4800 Tonnen Kalk. Marcus Klodt spricht von einer fasziniere­nden Exkursion, an der er mit seiner Tochter Emily (10) und den achtjährig­en Zwillingen Lucas und Niclas sowie den Großeltern Hannelore und Siegfried Klodt teilnimmt. „Das ist ein Naturerleb­nis pur“, sagt er, während der Bus zum Abschluss noch einmal am ausgedient­en Steinbruch Prangenhau­s mit türkisblau­em Wasser hält, der als Sedimentat­ionsbecken dient. Am Ufer stehen Kormorane. In Bäumen am Hang brütet der Uhu. Das Unternehme­n Lhoist, das das Kalkwerk betreibt, bekennt sich zum Standort. „Flandersba­ch ist aufgrund seiner Größe und der Nähe zur Stahlindus­trie für die deutsche Kalkindust­rie unerlässli­ch“, sagt Werksleite­r Thomas Perterer. „Wir haben noch 20 Jahre Kalkstein-Abbaureser­ven und arbeiten intensiv daran, die Laufzeit von Flandersba­ch zumindest für die nächsten 50 Jahre sicherzust­ellen.“

Dann wäre die unterste Sohle der Grube, in der die Exkursions­teilnehmer gestern die Sprengung erlebten, noch 100 Meter tiefer.

 ??  ?? Imposant: Über zwei Meter messen allein die Reifen der 100 Tonnen schweren Muldenkipp­er. Das muss sich ein junger Exkursions­teilnehmer ganz genau ansehen.
Imposant: Über zwei Meter messen allein die Reifen der 100 Tonnen schweren Muldenkipp­er. Das muss sich ein junger Exkursions­teilnehmer ganz genau ansehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany