Rheinische Post Hilden

Gewalt und Spiele

- VON PATRICK SCHERER

Die Prügeleien rivalisier­ender Ultras sind paradoxerw­eise längst zu einem gemeinsame­n Kampf geworden – gegen den Deutschen Fußball-Bund. Getreu dem Motto: „Getrennt in den Farben, in der Sache vereint“.

DÜSSELDORF Vor drei Wochen reiste eine Delegation des Deutschen FußballBun­des (DFB) nach Dresden. Gesprächsp­artner sollten Vertreter der Fangruppie­rung „Ultras Dynamo“vom lokal ansässigen Zweitligis­ten sein, Gesprächst­hema eine Choreograf­ie der Dresdner Fanszene, in der die Anhänger dem DFB im Camouflage-Outfit den Krieg erklärt hatten. Was ein lockerer Dialog werden sollte, entwickelt­e sich zum Tribunal. Die DFB-Delegation wurde überrascht. Vor ihr standen rund 50 Ultras – von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebi­et. In einer Stellungna­hme der beteiligte­n Ultras von Rot-Weiß Erfurt ist zu lesen: „Statt auf offene Ohren stieß man auf Engstirnig­keit, und es zeigte sich, dass die Herren im Elfenbeint­urm DFB-Zentrale zu weit von der Basis entfernt sitzen und sich nicht für Fan- und Vereinsbel­ange interessie­ren.“

Die Streitpart­eien haben dabei solch unterschie­dliche Auffassung­en über die Rahmenbedi­ngungen des Fußballs, dass ein harmonisch­es Miteinande­r nicht möglich scheint. Immerhin ging gestern ein kleiner Hoffnungss­chimmer auf einem langen Weg der Annäherung vom DFB aus, der weitere Gespräche mit Vertretern der aktiven Fanszenen ankündigte. Als erstes Zeichen des Entgegenko­mmens empfiehlt der Verband seinem Kontrollau­sschuss, keine Kollektivs­trafen mehr zu beantragen. „Bis auf Weiteres“wolle der DFB „keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperr­en, Teilaussch­lüssen oder Geisterspi­elen mehr“, teilte DFB-Präsident Reinhard Grindel mit.

Beim Fußballgip­fel unserer Zeitung hatte Jörg Schmadtke, Geschäftsf­ührer beim 1. FC Köln, in der vergangene­n Woche gesagt: „Die Vereine selbst können sich nur mit den Gruppen in ihrem eigenen Umfeld beschäftig­en und versuchen einzuwirke­n. Die Kritik an DFB und DFL ist aber ein grundlegen­des Problem, das man sehr ernst nehmen muss. Und durch die unterschie­dlichen und nicht immer nachvollzi­ehbaren Strafmaße, die der DFB verhängt, wird die Stimmung nicht besser.“

Es bleibt fraglich, wie beide Parteien auf einen Nenner kommen wollen. Auf der einen Seite der stetig wachsende Verband, der auf allen Ebenen in Gigantismu­s verfällt, bei dem das Wort Bodenhaftu­ng nur noch als Worthülse für Marketingz­wecke Bedeutung findet. Auf der anderen Seite die Ultras, die selbst ernannten Beschützer des Volkssport­s und der ihrer Meinung nach einzig wahren Fankultur, die ihre Werte Jahr für Jahr mit immer größer werdenden Füßen getreten sehen. Und in der Mitte der einfache Fußball-Fan, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht.

Die Ultras gelten als Fußballrom­antiker, die der Utopie erlegen sind, die Zeit zurückdreh­en zu können. Die Zeiten, in denen Spieler einen Verein im Herzen trugen, sich mit ihm identifizi­erten und ihm ein Leben lang treu blieben – wie sie selbst. Die Zeiten, in denen der DFB den Fußball noch ausschließ­lich als Sportart förderte und nicht als Lizenz zum Gelddrucke­n. Doch diese Zeiten werden nicht wiederkomm­en. Die Profiverei­ne, längst mittelstän­dische Unternehme­n, haben eine eigene Organisati­on, die Deutsche Fußball Liga (DFL), gegründet, die jährlich neue Umsatzreko­rde vermeldet. Und in Zeiten, in denen ein Fußballspi­eler für 222 Millionen Euro Ablösesumm­e den Verein wechselt, steht außer Frage, welch großes Geschäft der Fußball geworden ist.

Die Ultra-Bewegung, die ihre Ursprünge in den 50er und 60er Jahren in Italien hat und in den 90er Jahren nach Deutschlan­d kam, hat sich neben der bedingungs­losen Unterstütz­ung des jeweiligen Vereins früh den Kampf gegen die Kommerzial­isierung des Sports auf die Fahnen geschriebe­n. Sie wähnten

Jörg Schmadtke sich dabei durch große Teile der Stadionbes­ucher legitimier­t. Als Beispiel dient ihnen die Halbzeit-Show mit Helene Fischer beim DFB-Pokalfinal­e in diesem Jahr. Der Auftritt wurde bei Weitem nicht nur von der aktiven Fanszene per Pfeifkonze­rt abgekanzel­t.

Was dabei oft vergessen wird: Der Otto-Normal-Besucher pfeift, weil er einfach nur Fußball sehen will. Er pfeift gegen Helene Fischer, er pfeift aber auch gegen die Ultras, wenn sich in den Kurven Szenen abspielen, die für ihn nicht zu einem Fußballbes­uch gehören. Er wird so in einen Kampf hineingezo­gen, den er gar nicht führen will.

Als Auslöser für den großen Bruch zwischen DFB und Ultras gilt der Streit um die Erlaubnis für Pyrotechni­k. Mit der Kampagne „Emotionen respektier­en, Pyrotechni­k legalisier­en“waren Vertreter der aktiven Fanszenen mit dem DFB 2010 in einen Dialog getreten. Als sich die Fans nicht ausreichen­d ernst genommen sahen, brachen sie die Gespräche ab und benutzen die Fankurven seither mehr denn je als rechtsfrei­en Raum, in dem sie bestimmen, was Gesetz ist.

Resultat sind exzessive Pyro-Shows und Vandalismu­s. Nicht in direktem Zusammenha­ng stehen damit gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen, die in der Szene durchaus kontrovers diskutiert, aber fast überall toleriert werden. Es ist das Resultat heterogene­r Strukturen. „Die Ultras“gibt es eigentlich nicht. Stattdesse­n herrscht eine „Jeder-darfalles-Mentalität“, bei der ein anarchisch­er Ansatz dazu führt, dass Kleingrupp­en innerhalb der Gruppen einen radikalere­n Weg einschlage­n. Im Selbstvers­tändnis der Ultras ist das normal. Selbstrein­igungsproz­esse sind daher schwer vorstellba­r.

Die Prügeleien rivalisier­ender Gruppen schließen aber paradoxerw­eise einen Zusammensc­hluss als Ultra-Kollektiv wie in Dresden nicht aus. Das Motto lautet: „Getrennt in den Farben, in der Sache vereint.“Es ist längst ein gemeinsame­r Kampf gegen den DFB geworden – um den Besitzansp­ruch auf den Fußball. Und dieser Kampf ist gerade erst in die nächste Runde gegangen.

„Durch die nicht immer

nachvollzi­ehbaren Strafmaße, die der DFB verhängt, wird die Stim

mung nicht besser“

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FOTO: DPA

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