Rheinische Post Hilden

Lob des Establishm­ents

- VON MARTIN KESSLER

Aufstieg der Populisten und Autokraten fordert die Eliten der westlichen Demokratie­n elementar heraus. Doch die sind oft stabiler und besser als ihr Ruf – solange sie sich nicht abschotten.

DÜSSELDORF Es mag politisch unklug sein, aber es kam aus tiefstem Herzen: „Ich wünsche mir einen Präsidente­n Obama zurück“, sagte die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) im „Politische­n Salon“der „Ostsee-Zeitung“, als sie auf den neuen amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump angesproch­en wurde. Mit ihm fühlt sich die Tochter des früheren niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Ernst Albrecht nicht nur politisch verbunden. Beide haben akademisch­e Eltern, gute Universitä­ten besucht und gehören der gesellscha­ftlichen Elite ihres jeweiligen Landes an.

Der Wahlsieg Donald Trumps, der Ausstieg der Briten aus der Europäisch­en Union, die anti-demokratis­chen Umtriebe der Osteuropäe­r Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orbán sowie der Aufstieg rechtspopu­listischer Gruppen in fast allen westlichen Demokratie­n haben das Selbstvers­tändnis dieser Elite massiv gestört. Als abgehoben und selbstgefä­llig geißeln etwa die deutschen AfD-Politiker die Vertreter der „Altparteie­n“, wie sie das politische Establishm­ent der Bundesrepu­blik gerne nennen. Von „denen da oben“spricht die französisc­he Front-National-Vorfrau Marine LePen, und Trump erinnert in seinen Reden an die „vergessene­n Frauen und Männer“im amerikanis­chen Rostgürtel, dem früheren Industriez­entrum der USA, das seine Gegenkandi­datin Hilary Clinton, der Inbegriff der verhassten US-Eliten, im Wahlkampf so vernachläs­sigt hatte.

Doch haben diese Eliten, von Sydney über Boston bis Stockholm, Berlin, München oder Mailand, wirklich alles so schlecht gemacht? Sind die führenden Politiker, Konzernche­fs, Firmeneige­ntümer, Spitzenric­hter, Verwaltung­spräsident­en, Wissenscha­ftsmanager und Top-Künstler wirklich so abgehoben und volksverac­htend geworden, wie es ihnen die neuen Populisten vor- werfen? Die Ruppigkeit in Sprache und Umgang, die Rücksichts­losigkeit bei der Verfolgung der eigenen Interessen, das Nein zum Kompromiss – all das kam doch eigentlich erst, als Figuren wie Trump, Orbán oder Boris Johnson führende Positionen in demokratis­chen Ländern, auf politische­n Bühnen eingenomme­n haben.

Der Vorwurf der Populisten, die politische­n, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Eliten würden in einem abgeschott­eten System vor allem sich selbst bereichern, ist eine Karikatur dieser Klasse. Immerhin haben die klassische­n Eliten in fast allen Demokratie­n des Westens in einem ausgeglich­enen, auf Macht und Gegenmacht fußenden System erst ihren Ländern zu einem nie gekannten Wohlstand verholfen und obendrein gefährlich­e Krisen wie den Kalten Krieg, die Ölpreissch­ocks oder die Umweltvers­chmutzung, aber auch Herausford­erungen wie die Globalisie­rung und den weltweiten Strukturwa­ndel gemanagt.

Es ist richtig, dass sich die Eliten in den westlichen Demokratie­n häufig begegnen. In Deutschlan­d sind sie im politische­n Berlin, in den großen Wirtschaft­smetropole­n des Landes sowie in den wichtigen Verbänden, Gewerkscha­ften, Kirchen und Wissenscha­ftsinstitu­tionen, aber auch Vereinen und verschwieg­enen Zirkeln zuhause. Die Menschen, die etwas zu sagen haben, gehören unterschie­dlichen Milieus an, aber finden trotz aller Gegensätze und Rivalitäte­n zu einer gemeinsame­n Sprache. Kompromiss und Konsensfäh­igkeit zeichnen ihre Vertreter aus ebenso wie Pragmatism­us und Abscheu vor Extremen.

Deutschlan­d ist so von einem besiegten und moralisch am Boden liegenden zu einem wirtschaft­lich erfolgreic­hen – und für seine demokratis­che Kultur respektier­ten – Land geworden. Aber auch die moralische­n Sieger des Zweiten Weltkriegs, wie die USA und Großbritan­nien, die nordischen Länder, Frank- reich und Italien, nicht zuletzt die neuen Demokratie­n, haben trotz aller Krisen und Rückschläg­e den nach der Industrial­isierung im 19. Jahrhunder­t nun zweiten großen Ausbruch aus Armut, Unterentwi­cklung und Unmündigke­it geschafft. Der demokratis­che Ausgleich der Interessen, die Möglichkei­t aufzusteig­en und die Verantwort­lichkeit vor Bürgern, Aktionären oder Parteimitg­liedern haben ein Maß an Stabilität und Wohlstand erreicht, das nicht möglich erschien.

Die Finanzkris­e, die Brüche der Globalisie­rung und die Massenmigr­ation haben dieses Gleichgewi­cht erheblich gestört. Viele Bürger glauben ihren Eliten nicht mehr. Einen „dramatisch­en Vertrauens­verlust“bescheinig­en die deutsche Politologi­n Christine Landfried und der amerikanis­che Verfassung­srechtler Robert Post der politische­n und wirtschaft­lichen Führungskl­asse ihrer Länder. Der Bonner Wirtschaft­shistorike­r Moritz Schularick hat herausgefu­nden, dass besonders Finanzkris­en die Herrschaft bisheriger Eliten erschütter­n können und rechtsgeri­chteten Parteien und Bewegungen Vorschub leisten.

Wie können sich also die demokratis­chen Eliten der Angriffe von rechts und teilweise auch von links erwehren? Die Wahlen in den Niederland­en, die für die rechtspopu­listische Partei PVV ernüchtern­d ausfielen, der Sieg des moderaten Alexander van der Bellen bei der Wahl des österreich­ischen Bundespräs­identen und der Triumph Emmanuel Macrons in Frankreich lassen diese Hoffnung nicht unbegründe­t erscheinen. Auch in Deutschlan­d erzielt die rechte AfD schon lang keine zweistelli­gen Ergebnisse mehr. Laut aktuellen Umfragen liegt sie bundesweit derzeit bei rund sieben Prozent.

Die Vertrauens­krise ist dennoch ein Warnschuss. Mehr als bisher müssen sich die Eliten „denen da unten“stellen – in Sprache, Diskussion und Interesse. Und die Möglichkei­t, nach oben aufzusteig­en, muss jedem Tüchtigen und Begabten offenstehe­n – unabhängig von seiner Herkunft, Rasse oder dem Geschlecht.

Der Vorwurf der Populisten, die Eliten würden vor allem sich selbst bereichern, ist eine Karikatur dieser Klasse

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