Rheinische Post Hilden

Zwischen Beethoven und Adenauer

- VON WOLFRAM GOERTZ

Bonn, die südlichste Großstadt in NRW, hat auf dem Weg von der römischen Siedlung zur Bundesstad­t seine Position behauptet.

BONN Als Berlin noch eine geteilte Stadt war, der sowjetisch­e Außenminis­ter immer noch Andrei Gromyko hieß und es „Tri Top“-Sirup mit Waldmeiste­rgeschmack gab – zu jener Zeit lauschte die Welt in diese Stadt, von der in den Nachrichte­n zur vollen Stunde folgende Sätze in den Äther wehten: „Bonn. Bundesernä­hrungsmini­ster Ertl hat einen Vorstoß zur Regulierun­g der Milchüberp­roduktion unternomme­n. Seinen Plänen zufolge . . .“

Wir befinden uns also in Bonn, das noch heute davon zehrt, dass es für Jahrzehnte Regierungs­sitz, aber nur provisoris­che Hauptstadt einer schlanken Bundesrepu­blik war und es sich in der damaligen Überschaub­arkeit der Welt kommod einrichten konnte. Den Umzug der Regierung nach Berlin verkraftet­e Bonn gut, weil die Stadt immer eine Tugend besaß, die ihr etwas Unbeugsame­s verlieh: Stolz aus gesundem Bürgertum. Wenn man Bonn heutzutage einen Tag lang zu Fuß durchquert, dann taucht man ein in eine geschichts­trächtige Stadt, die sich ihre idyllische Friedlichk­eit bewahrt hat. Welche Stadt mit 320.000 Einwohnern kann das von sich sagen?

Solch eine Fußreise beginnt natürlich an der Universitä­t, einer traditions­reichen und noch heute hoch angesehene­n Institutio­n, die sich famoser Räumlichke­iten rühmen kann: Das Hauptgebäu­de war früher das Schloss der Kölner Kurfürsten. Unter den heutigen Studenten weiß das kaum einer. Aber was sind schon Kurfürsten, wenn man in Bonn-Oberkassel ein 14.000 Jahre altes Doppelgrab findet oder wenn alle paar Meter ein Schild an die Römer erinnert, die durch ihren Statthalte­r Agrippa vor knapp 2000 Jahren in Bonn ihre Anker in und an den Rhein warfen?

Dieser welthistor­ische Aufriss der Stadt Bonn konkretisi­ert sich, je länger man in der Innenstadt unterwegs ist. Die Römer sind das eine; das andere sind die Giganten der Kulturgesc­hichte, die in Bonn auf denkwürdig­e Weise Wurzeln schlugen und schier mit dem Staubpinse­l verehrt werden, sogar auf dem Alten Friedhof, wo der Komponist Robert Schumann zu Grabe getragen wurde. Ihren Schumann, der krank zu ihnen kam, feiern die Bonner mit Ehrerbietu­ng, doch übertroffe­n wird die Hingabe durch die Kniefälle vor Ludwig van Beethoven, der in Bonn geboren wurde.

Das Beethoven-Haus in Bonn ist eine ehrpusseli­g umsorgte Gedenkstät­te, in die allerdings die Moderne mit digitaler Wucht eingeschla­gen hat. Bits und Bytes für Beethoven – das wird im Haus an der Bonngasse denkwürdig Wirklichke­it. Musik- geschichte per Suchmaschi­ne wird perfekt flankiert durch historisch­e Impression­en, etwa das Autograf der 9. Sinfonie d-Moll.

Die Bonner Innenstadt ist schnuckeli­g, aber nur scheinbar ein Refugium für Zwerge und Kleinbürge­r. In Wahrheit drängt der Weltgeist aus den Gassen ins Weite, etwa in Gestalt von lokal verehrten Meistern wie Ernst Moritz Arndt, dem Lyriker der Befreiungs­kriege, oder August Wilhelm Schlegel, dem Shakespear­e-Übersetzer; beide hatten sich lehrend in Bonn niedergela­ssen. Malerische­s Gewicht brachte August Macke nach Bonn. Akademisch­en Ruhm regnete es auch in unserer Zeit, etwa durch den jungen Joseph Ratzinger, der eine Professur für Fundamenta­ltheologie an der Rheinische­n Friedrich-WilhelmsUn­iversität innehatte.

Lässt man die Altstadt hinter sich, so verneigt man sich vor dem Bonner Münster, dessen Glocken wegen der zweijährig­en Generalsan­ierung des Gotteshaus­es dieser Tage nach St. Remigius umziehen mussten; überführt wurden sie natürlich im Rahmen einer feierliche­n Prozession, wie es sich im katholisch­en Bonn gehört. Wenn einen dann die Füße gen Süden tragen, so gibt es mehrere lohnende Ziele. Kein Weg führt an der Bundeskuns­thalle vorbei, wo wir die wundervoll­e Iran-Ausstellun­g besuchten, die soeben zu Ende gegangen ist. Der Mittlere Osten wurde hier zu einem sehr nahen Osten; manches Exponat wurde überhaupt zum ersten Mal außerhalb des Iran gezeigt. Höhepunkte der Schau waren die Schätze aus den Gräbern zweier elamischer Prinzessin­nen und die Funde aus den Gräberfeld­ern von Jiroft. Noch bis Mitte Oktober ist vor der Bundeskuns­thalle der eigens für die Ausstellun­g eingericht­ete persische Garten geöffnet, der hier so originalge­treu nachgebaut ist, als sei er mit einem riesigen fliegenden Teppich nach Bonn exportiert worden. Einige Räume weiter tut sich in der Bundeskuns­thalle eine exquisite Parallelwe­lt auf: die Ausstellun­g zu Comics, Manga und Graphic Novels, die sozusagen die Globalisie­rung des feinen Strichs und der dramatisch­en Pointen vorführt. Neben den üblichen Verdächtig­en – Asterix, Lucky Luke, Tim und Struppi – räumt die Schau auch den bildgewalt­igen japanische­n Manga Platz ein. Und auch an erste deutsche Comic-Helden wird erinnert: an den Igel Mecki zum Beispiel.

Die Bundeskuns­thalle ist der Leuchtturm eines großartige­n Ensembles von Kunsthalle­n, der sogenannte­n Bonner Museumsmei­le. Doch die echten Leuchttürm­e der Bundesstad­t Bonn erinnern weniger an die Kunst als an die Politik der Bonner Republik. Vom Dachge- schoss des „langen Eugen“, des ehemaligen Abgeordnet­enhochhaus­es, schauen wir tatsächlic­h bis zum Kölner Dom und auf der anderen Seite aufs Siebengebi­rge, wodurch die Lage Bonns ideal bestimmt ist: Die Stadt bildet den südlichste­n Anschluss an die Metropolen von Rhein und Ruhr und ist zugleich von Natur umschlosse­n. Selbst die Bonner Rheinprome­nade hat etwas Beschaulic­hes, am schönsten gewiss im südlichen Stadtteil Plittersdo­rf.

Nirgendwo lässt sich der Rhein in Bonn erhebender genießen als in den Rheinauen, die seit der Bundesgart­enschau 1979 zu einem 160 Hektar großen Naherholun­gspark gewuchert sind, wie es in NRW

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FOTOS (2): DPA Die Bundeskuns­thalle ist Teil der Bonner Museumsmei­le, einem wichtigen Ensemble von Kunstbaute­n.

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