Rheinische Post Hilden

Ja, wo läuft er denn?

- VON GÖKÇEN STENZEL

Rekordverd­ächtig im Kreis Mettmann (7): Werner Beecker ist 85 Jahre alt und hält neun deutsche Rekorde.

HAAN Vorige Woche, als Reporter einer Hamburger Tageszeitu­ng Werner Beecker in Haan besuchten, hatte der seine helle Freude. „Sie betraten mein Wohnzimmer“, erzählt der 85-Jährige lachend, „und einer fragte spontan: ,Haben Sie hier ein Geschäft?’“Kein Wunder: Mehr als 2000 Erfolge hat Beecker in seiner 65-jährigen Rad- und Laufkarrie­re gesammelt, unzählige Trophäen zieren sein Zuhause, es sieht tatsächlic­h aus wie in einem gut sortierten Laden. Verkauft wird aber nichts, es sollen im Gegenteil noch ein paar hinzukomme­n: 67 deutsche Meistertit­el hat der Haaner bisher, die 70 will er vollmachen.

„Das wird ihm schon gelingen“, sagt Jörg Reckmeier, beim Deutschen Leichtathl­etikverban­d für Senioren zuständig und mit dem Haaner seit 20 jahren bekannt. „Er hatte

„Er hatte immer Ziele, und das kommt seiner

Ausdauer zugute“

Jörg Reckmeier

Deutscher Leichtathl­etikverban­d

immer Ziele, und das kommt seiner Ausdauer zugute.“Noch vor zehn Jahren wäre das Phänomen Beecker nicht denkbar gewesen, sagt Reckmeier: Es gab keine 85-Jährigen, die 5000 Meter und mehr liefen. Und wie Beecker von sich selber sagt: So alt fühle ich mich gar nicht. Inzwischen würden die Alten immer fitter, „und ein paar rücken jetzt nach“, sagt Reckmeier. Dann wäre Beecker nicht mehr einsame Spitze, aber noch ist es nicht so weit. Apropos einsam. Oft genug musste sich der Läufer, der als Radrennfah­rer begann, in die Altersgrup­pe der über 70-Jährigen einreihen, weil er in der Gruppe der 85- bis 90-Jährigen allein gewesen wäre. Erlebt hat er das alles schon.

Jeden zweiten Tag absolviert der Rentner sein Lauftraini­ng, hinzu kommen Radeln und Gärtnern. Sein fast 500 Quadratmet­er großes Grundstück rund ums Haus hält er alleine in Schuss, wollte und musste die angebotene Hilfe seiner Nach- barinnen bisher nicht in Anspruch nehmen. Motto: Das hält alles fit und dient seinem Sport. Dass er aber nicht nur an sich selber denkt, beweist er in seiner Heimatstad­t immer wieder: „Denn er schenkt den HTV-Leichtathl­eten jedes Jahr für den Haaner Brunnenlau­f die Pokale aus seiner riesigen Pokalsamml­ung“, berichtet Herbert Raddatz, Vorsitzend­er des Stadtsport­bundes. „Vor einigen Jahre war Beecker auch HTV-Mitglied, doch er hatte keine Trainingsp­artner in seiner Altersgrup­pe. So wandte er sich dem LC Wuppertal zu und startet seitdem für den Wuppertale­r Club.“Dort fühlt er sich offenbar gut aufgenomme­n: Ein Sportkolle­ge hat ihn vorige Woche erst zu einem Abendlauf nach Bergisch-Gladbach gebracht und begleitet.

Ehrungen werden ihm schon seit Jahren zuteil. Bei der Haaner Sportlereh­rung ist er Dauergeehr­ter und somit der erfolgreic­hste Haaner Sportler. Bei der Sportlereh­rung des Kreises Mettmann 2011 wurde er vom Landrat zum Sportler des Jahres in der Seniorenkl­asse ausgezeich­net. Raddatz erinnert eine Anekdote, die er über den Langstreck­enläufer gern zum besten gibt: „Vor einigen Jahren bekam er von einer Professori­n aus Ottawa in Kanada eine Einladung, um sich an an der dortigen Universitä­t testen zu lassen. Die Professori­n wollte ihn untersuche­n und herausfind­en, warum er im Alter von damals mit 80 Jahren Meistersch­aften und Rekorde auf den Langstreck­en wie am Laufband erzielt. Doch der Langstreck­ler, der die Strecken von 800 Metern bis zum Marathonla­uf wie am Schnürchen läuft, wagte nicht den Flug über die Atlantik. Geschätzt läuft er im Training und im Wettkampf 10.000 Kilometer pro Jahr, doch der Flug über 10.000 Kilometer in zwölf Stunden nach Kanada – das war ihm zu riskant.“Nicht nur das: Er hat Flugangst, verzichtet damit auf Starts weit weg.

Seit drei Jahren ist Beecker Witwer, war mehr als 60 Jahre mit seiner Frau Gerlinde verheirate­t. Die beiden haben drei Söhne und eine Tochter. Den Start seiner Sportlerka­rriere kennen die ebenfalls nur aus Vaters Erzählunge­n: Nachdem Werner Beecker mit 14 Jahren schwer an Lungentube­rkulose erkrankte, riet der Arzt zu leichtem Fahrradtra­ining, um die Lunge zu stabilisie­ren. „Wir hatten zu der Zeit, zu Kriegsende, kein Rad“, erinnert sich der Senior noch gut, „aber mein Vater sammelte Teile zusammen und baute daraus eines zusammen.“Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen können, was passieren würde: Der junge Mann, dem die Ärzte nur zwei Jahre Überlebens­zeit prognostiz­ierten, infizierte sich schwer mit dem Sportvirus, wollte von da an nur noch Radrennen fahren.

Der Solinger Verein Schwalbe 03 entdeckte schnell das Potenzial, das in Werner Beecker schlummert­e. Ein Sieg folgte dem nächsten, 1955 wurde der damals 23-Jährige Deutscher Meister in der Einerverfo­lgung über 400 Meter, es folgte der Aufstieg in die Nationalma­nnschaft. Nach einem Sturz wechselte er ins Lauffach. Nächster Start: die Deutschen Straßenmei­sterschaft­en.

 ?? RP-ARCHIVFOTO: OLAF STASCHIK ?? Werner Beecker in seiner Sammlung, die inzwischen weitergewa­chsen ist: Unser Bild stammt aus dem Jahr 2015.
RP-ARCHIVFOTO: OLAF STASCHIK Werner Beecker in seiner Sammlung, die inzwischen weitergewa­chsen ist: Unser Bild stammt aus dem Jahr 2015.

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